Hongkong 02 - Noble House Hongkong
bedeutet eigentlich Achtung, Respekt, obwohl manche Leute die Bedeutung lieben damit verbinden.
Riko ertappte sich dabei, daß sie deutsch dachte. Sie lächelte. Sie dachte meistens deutsch, nur heute, mit dem Tai-Pan, hatte sie japanisch gedacht. So lange ist es her, daß ich meine Sprache gesprochen habe. Aber welche Sprache ist meine Sprache? Japanisch? Das ist die Sprache, die ich mit meinen Eltern sprach. Englisch? Das ist die Sprache meines Mannes, obwohl er behauptete, Deutsch sei seine Muttersprache.
War er Engländer?
Sie hatte sich diese Frage oft gestellt. Nicht daß er kein flüssiges Deutsch gesprochen hätte – es waren die Verhaltensweisen, es waren nicht die eines Deutschen, so wie meine nicht die einer Japanerin sind. Oder doch? Ich weiß es nicht. Aber jetzt kann ich es ergründen.
Er hatte nie gesagt, worin seine Arbeit bestand, und sie hatte ihn nie danach gefragt.
Nach der Episode in Wien war ihr klargeworden, daß diese Arbeit etwas mit internationaler Spionage oder verbrecherischer Tätigkeit zu tun haben mußte. Aber Hans war nicht der Typ, der etwas mit Verbrechen zu tun hatte.
Seitdem war sie noch vorsichtiger geworden. Ein oder zwei Mal hatte sie das Gefühl gehabt, daß sie beobachtet wurden – in Zürich, oder wenn sie schifahren gingen –, aber er hatte ihre Befürchtungen mit einer Handbewegung zerstreut, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. »Aber sei immer auf alles vorbereitet! Bewahre deine Wertsachen und privaten Papiere, Paß und Geburtsurkunde, in deiner Reisetasche auf, Ri-chan «, hatte er gesagt und ihren Kosenamen gebraucht. »Für alle Fälle.«
Jetzt konnte sie einen neuen Anfang machen. Sie war vierundzwanzig. Das Vergangene war vorbei, und Karma war Karma. Mit dem Geld des Tai-Pan hatte sie genug auf Jahre hinaus.
»Wenn mir etwas zustößt«, hatte ihr Gresserhoff an ihrem Hochzeitsabend gesagt, »wird dich ein Mann namens Kiernan anrufen. Zerschneide die Telefondrähte, wie ich es dir zeigen werde, und verlasse unverzüglich Zürich! Nimm nur mit, was du am Leib trägst, und deine Reisetasche! Steig in den Wagen und fahr nach Genf. Hier ist ein Schlüssel. Es ist der Schlüssel zu einem Safe in der Swiss Bank of Geneva in der Rue Charles. Darin befinden sich Geld, einige Dokumente und ein Brief. Folge meinen Anweisungen genau, mein Liebling! Oh, wie ich dich liebe! Mache alles, wie ich es gesagt habe …«
Und das hatte sie getan. Genau. Es war ihr giri.
In dem Stahlfach in Genf befanden sich ein Brief mit Instruktionen, 10.000 US-Dollar in bar, ein neuer Schweizer Paß mit ihrem Bild auf einen neuen Namen und neuem Geburtsdatum, eine neue Geburtsurkunde, aus der hervorging, daß sie vor dreiundzwanzig Jahren in Bern geboren wurde. Der von ihm gewählte Name hatte ihr gefallen, und sie erinnerte sich, wie sie in der Geborgenheit ihres Hotelzimmers mit dem Ausblick auf den schönen See um ihn geweint hatte.
Der Safe hatte auch noch ein Sparbuch mit 20.000 US-Dollar auf ihren neuen Namen enthalten sowie einen Schlüssel, eine Adresse und einen Besitztitel. Die Besitzurkunde bezog sich auf eine kleine, komplett eingerichtete Villa am See. Die Haushälterin kannte sie unter ihrem neuen Namen und wußte, daß sie eine Witwe war, die lange im Ausland gelebt hatte. »Ich bin ja so froh, gnädige Frau, daß Sie endlich nach Hause gekommen sind! Das Reisen in all diesen fremden Ländern muß doch sehr anstrengend sein«, hatte die freundliche, einfache alte Frau sie begrüßt. »Im letzten Jahr war Ihr Haus an einen netten, ruhigen Engländer vermietet. Er hat prompt jeden Monat die Miete gezahlt, hier sind die Abrechnungen. Vielleicht kommt er dieses Jahr wieder, sagte er, vielleicht auch nicht. Das Büro der Hausverwaltung befindet sich in der Avenue Firmet …«
Rein und klar lag der große See im Schoß der Berge. Sie wanderte durch das hübsche Haus, betrachtete die Bilder an den Wanden und freute sich über die Blumen in den Vasen. Schließlich war sie auch in das Schlafzimmer gekommen. In einem Kaleidoskop von kleinen Bildern verschiedener Größe und Form an einer Wand befand sich auch, hinter Glas gesetzt, ein alter Brief, dessen Papier schon ein wenig vergilbt schien. Sie erkannte seine Handschrift. Der Brief war englisch geschrieben: »So viele glückliche Stunden in deinen Armen, Ri-chan, so viele glückliche Tage in deiner Gesellschaft, wie soll ich es sagen, daß ich dich liebe? Vergiß nicht, ich werde dich nie vergessen! Wie bitte ich
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