Honig
meinen »anderen« Autoren, den anderen Stipendiaten der Stiftung. Das hatten wir schon so oft durchgespielt, dass es schon eine kleine Tradition geworden war. Er kokettierte dabei sowohl mit einer sexuellen als auch mit einer schriftstellerischen Eifersucht und Rivalität.
»Sag mir nur eins. Sind es vor allem junge Autoren?«
»Vor allem unsterbliche.«
»Bitte. Sag schon. Sind Alte, Berühmte dabei? Anthony Burgess? John Braine? Frauen?«
»Was soll ich mit Frauen?«
»Kriegen die mehr Geld als ich? Das kannst du mir doch sagen.«
»Sie kriegen alle mindestens doppelt so viel wie du.«
»Serena!«
»Schon gut. Alle kriegen das Gleiche.«
»Wie ich.«
»Wie du.«
»Bin ich der Einzige, der noch kein Buch veröffentlicht hat?«
»Ich sage kein Wort mehr.«
»Hast du mit denen auch geschlafen?«
»Mit einigen.«
»Und du arbeitest die Liste immer noch ab?«
»Das weißt du doch.«
Lachend zog er mich in den Eingang eines Juweliergeschäfts und küsste mich. Er zählte zu den Männern, für die es zuweilen einen pikanten Reiz hat, sich ihre Geliebte mit [289] einem anderen Mann vorzustellen. In gewissen Stimmungen erregte ihn die Phantasie, ein Hahnrei zu sein, auch wenn er in der Realität angewidert, verletzt oder wütend gewesen wäre. Eindeutig der Ursprung von Carders Obsession mit seiner Schaufensterpuppe. Ich verstand das überhaupt nicht, hatte aber gelernt mitzuspielen. Manchmal, wenn wir uns liebten, bat er mich flüsternd darum, und folgsam erzählte ich ihm von dem Mann, mit dem ich mich traf, und was ich mit ihm anstellte. Schriftsteller waren Tom dabei am liebsten, und je unwahrscheinlicher, je namhafter, desto größer seine köstliche Qual. Saul Bellow, Norman Mailer, der pfeiferauchende Günter Grass, ich ließ mich nur mit den Besten ein. Oder vielmehr seinen Besten. Selbst damals schon war mir klar, dass diese bewussten, gemeinsamen Phantasien dabei halfen, meine eigenen unvermeidlichen Unwahrheiten zu verschleiern. Es war nicht einfach, mit einem Mann, dem ich so nahe war, über meine Arbeit für die Stiftung zu reden. Der Hinweis auf meine Schweigepflicht war ein Ausweg, diese halb augenzwinkernde erotische Fiktion ein anderer. Aber es reichte beides nicht. Das war der kleine dunkle Fleck auf meinem Glück.
Natürlich wussten wir ganz genau, warum wir bei Wheeler’s so freundlich begrüßt wurden, warum man sich so eifrig nach Miss Serenas Woche, Mr. Toms Gesundheit und unseren Wünschen erkundigte, warum man uns so geflissentlich die Stühle zurechtrückte und Servietten auf den Schoß legte, aber es machte uns dennoch glücklich und ließ uns beinahe glauben, dass man uns wirklich bewunderte und respektierte, und zwar weit mehr als die langweiligen [290] älteren Gäste. Zu jener Zeit hatten junge Leute, von ein paar Popstars abgesehen, nicht so viel Geld in der Tasche. Und so trugen die missbilligenden Blicke, die uns bis an unseren Tisch verfolgten, noch zur Steigerung unseres Vergnügens bei. Wir waren etwas ganz Besonderes. Wenn die gewusst hätten, dass sie unser Essen mit ihren Steuern bezahlten! Wenn wenigstens Tom das gewusst hätte. Während andere, die vor uns gekommen waren, noch auf ihre Bestellung warteten, hatten wir binnen einer Minute unseren Champagner, und dann kam auch schon die Silberplatte, randvoll mit Eis und harten Schalen, in denen die Fladen der salzigen Eingeweide schimmerten, von denen wir tapfer immer wieder aufs Neue schwärmten. Der Trick bestand darin, sie in einem Rutsch hinunterzukippen, so bekam man den Geschmack kaum mit. Wir kippten auch den Champagner hinunter und ließen uns nachschenken. Wie so oft schon nahmen wir uns vor, das nächste Mal eine ganze Flasche zu bestellen. Da könnten wir ordentlich Geld sparen.
In der feuchten Wärme des Restaurants hatte Tom das Jackett ausgezogen. Er griff über den Tisch und legte seine Hand auf meine. Das Kerzenlicht ließ seine Augen noch grüner leuchten und überhauchte seine Blässe mit einem gesunden, rötlichen Braun. Den Kopf hatte er wie immer ein wenig zur Seite geneigt, die Lippen wie üblich halb geöffnet und gespitzt, nicht um etwas zu sagen, sondern eher, um meine Worte vorwegzunehmen oder gleichzeitig mit mir auszusprechen. Schon leicht beschwipst, dachte ich in diesem Augenblick, dass ich noch nie einen so schönen Mann gesehen hatte. Ich verzieh ihm sein [291] maßgeschneidertes Piratenhemd. Liebe wächst nicht langsam und gleichmäßig, sondern schubweise, in jähen Aufwallungen,
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