Honig
seines Romans lagen unverdächtig um die Schreibmaschine verteilt, die Freuden des Abends erwarteten uns. Ich ließ ein stark parfümiertes Bad einlaufen. Das Badezimmer maß 1,5 x 1,2 Meter (wir hatten es mal ausgemessen) und war mit einer raumsparenden Sitzwanne ausgestattet, in der man wie Michelangelos Il Penseroso auf einem Vorsprung im Wasser hockte. Und so hockte und schmorte ich und dachte weiter nach. Eine harmlose Möglichkeit wäre die folgende: Wenn dieser Herausgeber, Hamilton, so scharfsinnig war, wie Tom behauptete, würde er vielleicht beide Texte ablehnen und gute Gründe dafür nennen. In diesem Fall würde ich gar nichts sagen und abwarten. Schließlich war das die Idee: ihn finanziell unabhängig machen, ihm freie Bahn lassen und auf das Beste hoffen. Und doch… und doch, ich hielt mich für eine gute Leserin. Meiner Ansicht nach machte er einen Fehler, dieser monochrome Pessimismus kam seinem Talent nicht entgegen, erlaubte ihm weder so raffinierte Wendungen wie etwa in der Geschichte von dem falschen Vikar noch [286] Doppelbödigkeiten wie bei dem Mann, der leidenschaftlichen Sex mit seiner Frau hat, von der er ganz genau weiß, dass sie eine Lügnerin ist. Tom schätzte mich genug, glaubte ich, um auf mich zu hören. Andererseits hatte ich klare Anweisungen. Ich durfte meinem Drang, mich einzumischen, nicht nachgeben.
Als ich mich zwanzig Minuten später neben der Wanne abtrocknete, immer noch unschlüssig und den Kopf voller widersprüchlicher Gedanken, hörte ich Schritte auf der Treppe. Er klopfte an, kam in mein dampfendes Boudoir, und wir umarmten uns wortlos. Ich konnte die kalte Straßenluft in den Falten seines Mantels spüren. Perfektes Timing. Ich war nackt, duftend und bereit. Er führte mich ins Schlafzimmer, alles war gut, alle quälenden Gedanken verflogen. Etwa eine Stunde später zogen wir uns für den Abend an, tranken von unserem Chablis und hörten My Funny Valentine von Chet Baker. Ein Mann, der sang wie eine Frau, der Hauch von Bebop in seinem Trompetensolo war sanft und zärtlich. Vielleicht konnte ich Jazz doch noch etwas abgewinnen. Wir ließen die Gläser klingen und küssten uns, dann drehte sich Tom um, ging mit seinem Weinglas an den Kartentisch und sah minutenlang auf sein Manuskript hinab. Er hob ein Blatt nach dem anderen, suchte eine bestimmten Stelle, fand sie, nahm einen Bleistift und notierte etwas. Stirnrunzelnd spannte er das Blatt in die Maschine, drehte die Walze, wobei die Mechanik bedächtig und vielsagend klickte, und las es nochmals. Als er zu mir aufblickte, wurde ich nervös.
Er sagte: »Ich muss dir was erzählen.«
»Was Gutes?«
[287] »Ich erzähl’s dir beim Essen.«
Er kam zu mir, und wieder küssten wir uns. Er hatte sein Jackett noch nicht angezogen und trug eins der drei Hemden, die er sich in der Jermyn Street hatte schneidern lassen. Sie waren alle gleich, aus feiner weißer ägyptischer Baumwolle und an Schultern und Armen großzügig geschnitten, was ein wenig piratenhaft wirkte. Er hatte einmal gesagt, jeder Mann sollte eine »Bibliothek« weißer Hemden haben. Ich war mir nicht sicher, ob ich den Schnitt mochte, aber es gefiel mir, seinen Körper unter der Baumwolle zu spüren, und es gefiel mir, wie er sich an das Geld gewöhnte. Die Stereoanlage, die Restaurants, die Globetrotter-Koffer, demnächst eine elektrische Schreibmaschine – er ließ das Studentenleben hinter sich, und zwar mit Stil und ohne schlechtes Gewissen. Bis Weihnachten hatte er zudem noch sein Dozentengehalt. Er war gut bei Kasse und freigebig. Er kaufte mir Geschenke – ein Seidenjäckchen, Parfum, eine Aktentasche aus weichem Leder für die Arbeit, die Gedichte von Sylvia Plath, Romane von Ford Madox Ford, alle in gebundenen Ausgaben. Er bezahlte mir auch die Zugfahrt hin und zurück, die mehr als ein Pfund kostete. An den Wochenenden vergaß ich mein spartanisches Londoner Leben, meinen kläglichen Lebensmittelvorrat in einer Kühlschrankecke und das morgendliche Abzählen des Kleingelds für U-Bahn und Mittagessen.
Wir tranken die Flasche aus und schwankten schon ein wenig, als wir die Queen’s Road hinuntergingen, am Clock Tower vorbei und dann in die Lanes hinein. Ein indisches Paar mit einem Baby auf dem Arm – es hatte eine Hasenscharte – fragte uns nach dem Weg, und Tom gab ihnen [288] Auskunft. Über den engen Straßen lag der triste Mief der Nebensaison, salzig-feucht und verlassen, das Pflaster tückisch glatt. Tom neckte mich fröhlich mit
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