Honig
mühelos vorstellen, was Peter Nutting und seine Kollegen gegen diesen Roman einzuwenden hätten. Hier war sie, die negative Utopie, die wir nicht wollten, die modische Apokalypse, die alles anklagte und verwarf, was wir jemals ersonnen oder aufgebaut oder geliebt hatten, und die genüsslich ausmalte, wie unsere gesamte Zivilisation in Schutt und Asche versank. Hier war er, der wohlgenährte Mann mit dem privilegierten Luxusleben, der für die Fortschrittshoffnungen des Rests der Menschheit nur Hohn und Spott übrighatte. Was schuldete T. H. Haley schon einer Welt, die ihn gütig ernährt, ihm eine kostenlose [283] Ausbildung spendiert, ihn nicht in den Krieg geschickt hatte, die ihn ohne Hungersnöte oder schaurige Rituale oder Angst vor rachsüchtigen Göttern zum Mann heranwachsen ließ, die ihn in seinen Zwanzigern mit einem ansehnlichen Gehalt ausstattete und ihm Meinungs- und Redefreiheit ohne jegliche Einschränkung gewährte. Ein wohlfeiler Nihilismus war das, der unsere sämtlichen Errungenschaften kategorisch für nichtig erklärte, der nicht daran dachte, Alternativen aufzuzeigen, der nirgends einen Hoffnungsschimmer sah, weder in Freundschaft und Liebe noch in freien Märkten, Industrie, Technik, Handel, Kunst und Wissenschaft.
Sein Roman (fuhr der Phantom-Nutting in meinem Kopf fort) macht sich Samuel Becketts Weltsicht zu eigen, in der die conditio humana auf ein einsames Ich am Ende aller Dinge reduziert ist, nur sich selbst verpflichtet und ohne jede Hoffnung an einem Kieselstein lutschend. Ein Ich, das keine Ahnung von den Schwierigkeiten der Regierungsarbeit in einer Demokratie hat, keine Ahnung, wie schwierig es ist, für Millionen anspruchsvoller, anspruchsberechtigter, frei denkender Individuen zu sorgen, ein Ich, das sich nicht darum schert, wie weit wir in nur fünfhundert Jahren eine grausame, bettelarme Vergangenheit hinter uns gelassen haben.
Andererseits… was war gut an dem Roman? Er würde sie alle vor den Kopf stoßen, insbesondere Max, allein schon deswegen war er großartig. Max würde sich ärgern und zugleich in seiner Meinung bestätigt sehen, dass es ein Fehler gewesen war, einen Romanautor mit an Bord zu nehmen. Paradoxerweise würde Honig dadurch [284] aufgewertet, es bewies, wie unabhängig dieser Schriftsteller von seinen Zahlmeistern war. Aus dem Tiefland von Somerset war die Verkörperung des Gespensts, das hinter jeder Schlagzeile lauerte, ein Blick in den Abgrund, ein literarisch gestalteter GAU – London wird zu Herat, Delhi, São Paulo. Aber was hielt ich wirklich davon? Die Geschichte hatte mich deprimiert, sie war so finster, so ohne jeden Lichtschimmer. Wenn er wenigstens das Kind verschont und dem Leser zumindest die Hoffnung auf eine bessere Zukunft gelassen hätte. Mein Phantom-Nutting hatte vermutlich nicht ganz unrecht – dieser Pessimismus hatte etwas Modisches, er war nur eine ästhetische, eine literarische Maske, eine Attitüde. Das war nicht Tom, oder höchstens ein winziger Teil von ihm, und deshalb war es unaufrichtig. Es gefiel mir überhaupt nicht. Und am Ende würde man T. H. Haley als meine Wahl betrachten, und ich müsste den Kopf hinhalten. Wieder einmal negativ aufgefallen.
Ich blickte hinüber zu Toms Schreibmaschine und der leeren Kaffeetasse daneben und dachte nach. Erwies sich der Mann, mit dem ich eine Affäre hatte, womöglich als unfähig, das frühe Versprechen seines Talents zu erfüllen – wie die Frau mit dem Affen im Nacken? Wenn seine beste Zeit bereits hinter ihm lag, hätte ich mich in meinem Urteil peinlich getäuscht. So würde der Vorwurf lauten, auch wenn in Wahrheit sie ihn mir, in Form seiner Akte, auf dem Silbertablett serviert hatten. Ich hatte mich in die Erzählungen verliebt und dann in den Mann. Es war eine arrangierte Ehe, eine Ehe, die in der fünften Etage gestiftet worden war, und jetzt war es zu spät, ich war die Braut, die nicht mehr davonlaufen konnte. Trotz meiner [285] Enttäuschung würde ich zu ihm halten, zu ihm stehen, und nicht nur aus Eigennutz. Denn ich glaubte noch an ihn, ohne Frage. Ein paar schwache Geschichten würden meine Überzeugung nicht erschüttern, dass er eine neue Stimme war, ein brillanter Kopf – und mein wundervoller Geliebter. Er war mein Projekt, mein Fall, meine Mission. Seine Kunst, meine Arbeit und unsere Affäre waren eins. Wenn er versagte, versagte ich. Also ganz einfach – wir würden gemeinsam glänzen.
Es war kurz vor sechs. Tom war noch immer nicht zurück, die Seiten
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