Honig
Mounts Büro eingetaucht und machte mich nützlich, indem ich Zahlen und Fakten für ein pessimistisches Memo überprüfte, das der Führungsbeamte auf dem Dienstweg nach oben schicken wollte. »Anmerkungen zu aktuellen Versäumnissen.« An Max dachte ich bis Feierabend kaum mehr.
Auch gut, denn es war Freitag, und Tom und ich waren für den nächsten Tag zum Mittagessen im Pillars of Hercules in Soho verabredet. In dem Pub in der Greek Street würde er sich mit Ian Hamilton treffen, darum kam er in die Stadt. Seine Zeitschrift, die im April lanciert werden sollte, finanzierte sich hauptsächlich aus Steuergeldern – vom Arts Council allerdings, nicht aus dem Sonderbudget. In der [369] Presse war bereits Kritik an dem geplanten Preis laut geworden – 75 Pence »für etwas, das wir schon bezahlt haben«, wie eine Zeitung es ausdrückte. Der Herausgeber hatte ein paar kleine Änderungen an der Geschichte mit dem sprechenden Affen gewollt, die jetzt endlich einen Titel hatte – Ihr zweiter Roman. Vielleicht würde er sich auch für den Spenser-Essay interessieren, hoffte Tom, oder ihm Rezensionsaufträge anbieten. Für Beiträge gab es kein Honorar, trotzdem versprach Tom sich viel davon, er war überzeugt, dass die Zeitschrift es zu hohem Ansehen bringen würde. Ich sollte eine Stunde nach ihm in den Pub kommen, und dann wollten wir, wie er es nannte, einen »Fritten-lastigen Pub-Lunch« zu uns nehmen.
Am Samstagvormittag räumte ich mein Zimmer auf, ging in den Waschsalon, bügelte Kleider für die nächste Woche und wusch und föhnte mir die Haare. Ich konnte es kaum erwarten, Tom zu sehen, und verließ das Haus so zeitig, dass ich mich fast eine Stunde zu früh auf der Treppe der U-Bahn-Station Leicester Square wiederfand. Zeit genug, noch ein wenig in den Buchantiquariaten an der Charing Cross Road zu stöbern. Aber ich war zu unruhig. Ich stand vor den Regalen, ohne etwas wahrzunehmen, betrat den nächsten Laden, mit demselben Ergebnis. Bei Foyles suchte ich unter den Taschenbuch-Neuerscheinungen vage nach einem Geschenk für Tom, konnte mich aber nicht konzentrieren. Ich hielt es nicht mehr aus ohne ihn. Ich nahm die Abkürzung durch die Manette Street, die an der Nordseite von Foyles entlangführt und dann an der Bar des Pillars of Hercules links vorbei und unter einem Gebäude hindurch. Dieser kurze Tunnel, wahrscheinlich ein [370] Überbleibsel einer alten Kutschstation, mündet auf die Greek Street. An der Ecke gibt es ein Fenster mit massiven Holzsprossen. Ich spähte hinein und sah Tom von der Seite und durch das alte Glas ein wenig verzerrt direkt am Fenster sitzen. Er beugte sich weit über den Tisch und sprach mit jemandem, den ich nicht sehen konnte. Ich hätte an die Scheibe klopfen können. Aber bei seiner wichtigen Besprechung wollte ich ihn natürlich nicht stören. Dumm von mir, so früh zu kommen. Ich hätte noch eine Weile herumspazieren sollen oder, wenn schon, den Haupteingang in der Greek Street benutzen. Dann hätte er mich gleich bemerkt, und mir wäre dieser Anblick erspart geblieben. Aber ich wandte mich um und nahm den Nebeneingang im Tunnel.
Ich durchquerte eine Wolke aus Pfefferminzduft, die von der Herrentoilette kam, und stieß eine weitere Tür auf. Am Anfang des Tresens stand ein Mann, allein, mit einer Zigarette in der einen und einem Glas Scotch in der anderen Hand. Er drehte sich zu mir um, und ich wusste sofort: Das war Ian Hamilton. Ich kannte sein Bild aus den gehässigen Zeitungsartikeln. Aber warum saß er nicht bei Tom? Hamilton betrachtete mich mit einem neutralen, beinahe freundlichen Blick und einem schiefen, verkniffenen Lächeln. Äußerlich entsprach er haargenau Toms Beschreibung: Er hatte die kantigen Zügen eines Filmstars aus vergangenen Zeiten, sah aus wie der typische Schurke mit goldenem Herzen aus einem Schwarzweiß-Liebesfilm. Er schien zu erwarten, dass ich zu ihm kam und mich vorstellte. Ich blickte an ihm vorbei durch das bläulich verqualmte Licht zu dem erhöhten Eckplatz am Fenster. Dort [371] saß Tom mit einer Frau, die mir den Rücken zuwandte. Sie kam mir irgendwie bekannt vor. Er hielt ihre Hand und beugte sich zum Zuhören so weit über den Tisch, dass sich ihre Köpfe beinahe berührten. Das konnte nicht sein. Ich starrte hinüber, versuchte die Szene in etwas Sinnvolles, etwas Harmloses aufzulösen. Aber da hatte ich es leibhaftig vor mir, das alberne, unglaubwürdige Klischee, das Max beschworen hatte: Weiberheld. Das Klischee hatte sich
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