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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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wie ein Parasit unter meine Haut gegraben und seine Neurotoxine ausgeschüttet, direkt in mein Blut. Es hatte mein Verhalten beeinflusst und mich zu früh hierhergeführt, damit ich es mit eigenen Augen sah.
    Hamilton trat neben mich und folgte meinem Blick.
    »Sie schreibt ebenfalls. Unterhaltungsliteratur. Aber gar nicht so übel. Er ja auch nicht. Sie hat gerade ihren Vater verloren.«
    Er sagte das leichthin und wusste dabei genau, dass ich ihm nicht glauben würde. Es hatte etwas Archaisches – ein Mann, der dem andern Rückendeckung gab.
    Ich sagte: »Die beiden scheinen alte Freunde zu sein.«
    »Was möchten Sie trinken?«
    Als ich um ein Glas Limonade bat, schien er zusammenzuzucken. Er ging zur Bar, und ich trat hinter einen der für diesen Pub typischen Paravents zurück, die es den Gästen erlaubten, ungestört miteinander zu reden. Ich war versucht, mich durch die Seitentür davonzuschleichen, Tom das ganze Wochenende aus dem Weg zu gehen und ihn schmoren zu lassen, während ich meine Wunden leckte. War es möglich, dass Tom mich auf so plumpe Art betrog? Ich spähte um den Seitenrand des Paravents: Das Bild des [372] Verrats, das sich mir darbot, war unverändert. Sie sprach noch immer, er hielt noch immer ihre Hand und lauschte ihr mit zärtlich vorgeneigtem Kopf. Das war so ungeheuerlich, dass es fast schon wieder komisch war. Aber noch empfand ich nichts, weder Wut noch Panik noch Trauer, ich fühlte mich nicht einmal taub. Da war nur eine entsetzliche Klarheit.
    Ian Hamilton brachte mir ein sehr großes Glas mit strohgelbem Weißwein. Genau was ich brauchte.
    »Runter damit.«
    Er sah mir mit sarkastischer Anteilnahme beim Trinken zu, dann fragte er, was ich so mache. Ich erzählte, ich arbeite für eine Kunststiftung. Sofort wurden seine Lider vor Langeweile ganz schwer. Aber er ließ mich ausreden und hatte dann eine Idee.
    »Eine neue Zeitschrift wäre doch genau das Richtige für Sie. Ich nehme an, deswegen sind Sie hier. Um mir Geld zu geben.«
    Ich sagte, dass wir nur einzelne Künstler unterstützten.
    »Und ich biete Ihnen auf einen Schlag fünfzig einzelne Künstler.«
    Ich sagte: »Vielleicht könnten Sie mir einmal Ihr Unternehmenskonzept zeigen.«
    » Unternehmens konzept?«
    Den Ausdruck hatte ich irgendwo aufgeschnappt, und ich ging zu Recht davon aus, dass ich das Gespräch damit abwürgen würde.
    Hamilton nickte in Toms Richtung. »Da ist Ihr Mann.«
    Ich trat aus der Deckung des Paravents hervor. Drüben in der Ecke war Tom bereits aufgestanden, und die Frau [373] griff nach ihrem Mantel auf dem Stuhl nebenan. Auch sie stand auf und drehte sich um. Sie hatte bestimmt zwanzig Kilo abgenommen, trug die Haare jetzt glatt und fast schulterlang, ihre engen schwarzen Jeans steckten in wadenhohen Stiefeln, ihr Gesicht war schmaler, schön sogar, aber ich erkannte sie sofort. Shirley Shilling, meine alte Freundin. Auch sie sah mich jetzt. Unsere Blicke trafen sich, und in dieser kurzen Sekunde hob sie eine Hand zum Gruß und ließ sie gleich wieder matt sinken, wie zum Zeichen, dass es zu viel zu erklären gab und sie dazu nicht in der Stimmung war. Sie verschwand hastig durch den Vordereingang. Tom kam mit einem idiotischen Grinsen auf mich zu, und ich dumme Kuh zwang mich ebenfalls zu einem Lächeln, denn ich spürte, dass Hamilton, der sich jetzt neben mir eine Zigarette anzündete, uns beobachtete. Er strahlte etwas aus, das sein Gegenüber zwang, Haltung anzunehmen. Er war cool, also würden wir es auch sein müssen. Jetzt hieß es so tun, als machte mir das alles nichts aus.
    Dann standen wir lange an der Bar und tranken. Die Männer sprachen über Bücher und tratschten über Schriftsteller, insbesondere den Dichter Robert Lowell, einen Freund Hamiltons, der möglicherweise gerade verrückt wurde; dann ging es um Fußball, nicht gerade Toms Spezialgebiet, aber er wusste aus den zwei oder drei Daten und Fakten, die er kannte, recht geschickt das Beste zu machen. Keiner von uns kam auf die Idee, sich zu setzen. Tom bestellte eine Runde Getränke und dazu Schweinefleischpasteten, aber Hamilton rührte seine nicht an und benutzte nach einer Weile erst den Teller, dann die Pastete selbst als Aschenbecher. Ich nahm an, dass Tom genau wie mir vor [374] dem Ende der Unterhaltung graute, denn dann würde es unweigerlich zum Streit zwischen uns kommen. Nach meinem zweiten Glas warf auch ich gelegentlich eine Bemerkung ein, hörte ansonsten aber nur mit halbem Ohr zu und dachte an Shirley.

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