Honig
Fehler. Amis las aus seinem Roman Das Rachel-Tagebuch, der obszön, grausam und sehr komisch war – so [363] komisch, dass er gelegentlich eine Pause einlegen musste, damit das Publikum sich vom Lachen erholen konnte. Als er fertig war und Tom auf die Bühne kam, wollte der Applaus gar nicht mehr aufhören, und Tom musste noch einmal ins Dunkel der Kulissen zurück. Die Zuhörer hielten sich immer noch die Bäuche und wischten sich die Lachtränen aus den Augen, als Tom endlich ans Lesepult trat, um »meine dreitausend Wörter über Pestbeulen, Eiter und Tod« vorzutragen. Einige verließen während seiner Lesung den Saal, lange bevor Vater und Tochter ihr Leben ausgehaucht hatten. Wahrscheinlich mussten sie den letzten Zug erreichen, aber Tom ließ sich davon verunsichern, ihm versagte beinahe die Stimme, er stolperte über die simpelsten Wörter, überlas eine Zeile, musste den Satz noch einmal von vorn anfangen. Ihm schien, der ganze Saal nehme es ihm übel, dass er die heitere Stimmung zerstört hatte. Am Ende gab es erleichterten Applaus, weil die Qual endlich überstanden war. Nachher in der Bar gratulierte er Amis, der das Kompliment nicht erwiderte. Stattdessen spendierte er Tom einen dreifachen Scotch.
Doch es gab auch gute Neuigkeiten. Der Januar war produktiv gewesen. Index on Censorship hatte Toms Artikel über verfolgte rumänische Dichter angenommen, und er hatte eine erste Fassung seines Spenser-Städtebau-Essays abgeschlossen. Vermutlich Ehebruch, die Erzählung, bei der ich geholfen und die die New Review abgelehnt hatte, war von der Zeitschrift Bananas angenommen worden, und dann gab es natürlich noch den neuen Roman, das Geheimnis, über das er sich beharrlich ausschwieg.
Drei Tage nach Beginn des Wahlkampfs bestellte Max [364] mich zu sich. Uns weiter aus dem Weg zu gehen, war unmöglich. Peter Nutting verlangte Zwischenberichte zu den einzelnen Honig-Fällen. Max blieb also nichts anderes übrig, er musste mit mir sprechen. Seit seinem nächtlichen Besuch hatten wir kaum ein Wort gewechselt. Wenn wir uns auf dem Flur begegneten, murmelten wir »guten Morgen«, in der Kantine setzten wir uns an weit voneinander entfernte Tische. Ich hatte viel über Max’ Worte nachgedacht. Wahrscheinlich hatte er in jener Nacht die Wahrheit gesagt. Es war durchaus denkbar, dass der Geheimdienst mich mit meinem schlechten Abschluss nur deshalb genommen hatte, weil ich Tonys Kandidatin war, und dass man mich eine Weile beschattet hatte, bis man das Interesse verlor. Indem Tony seinem alten Arbeitgeber, sozusagen als Abschiedsgruß, ein harmloses Mädchen wie mich geschickt hatte, wollte er vielleicht zeigen, dass auch er harmlos war. Oder, wie ich mir gern einbildete, er liebte mich einfach und sah mich als sein Geschenk an den Geheimdienst, seine Form der Wiedergutmachung.
Ich hatte gehofft, Max würde zu seiner Verlobten zurückkehren und wir könnten so weitermachen wie vorher. Und so schien es in der ersten Viertelstunde auch zu sein, als ich vor seinem Schreibtisch saß und ihm von Haleys Novelle, den rumänischen Dichtern, New Review, Bananas und dem Spenser-Essay berichtete.
»Man redet von ihm«, sagte ich abschließend. »Er hat eine große Zukunft vor sich.«
Max sah mich finster an. »Ich hätte gedacht, zwischen euch läuft inzwischen nichts mehr.«
Ich sagte nichts.
[365] »Wie ich höre, kommt er viel herum. Er soll ein Weiberheld sein.«
»Max«, sagte ich ruhig. »Lass uns sachlich bleiben.«
»Erzähl mir mehr von seinem Roman.«
Also erzählte ich ihm von der Begeisterung im Verlag, von dem Presseecho zu dem Plan, das Buch noch rechtzeitig für den Jane-Austen-Preis herauszubringen, und von dem Gerücht, dass David Hockney den Umschlag gestalten werde.
»Du hast mir immer noch nicht erzählt, worum es in dem Roman geht.«
Mir lag genauso viel an Lob von oben wie ihm. Noch mehr aber wollte ich Max dafür bestrafen, dass er Tom beleidigt hatte. »So etwas Trauriges habe ich noch nie gelesen. Es spielt nach einem Atomkrieg, die Zivilisation ist völlig zusammengebrochen, Vater und Tochter schlagen sich aus dem Südwesten nach London durch, sie suchen nach der Mutter des Mädchens, finden sie aber nicht, stecken sich mit Beulenpest an und sterben. Eine wunderschöne Geschichte.«
Er sah mich scharf an. »Klingt nach genau dem, was Nutting nicht ausstehen kann. Ach und übrigens. Er und Tapp haben was für dich. Haben die sich schon bei dir gemeldet?«
»Nein. Aber, Max, wir waren uns
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