Honig
meiner Wohnung angekommen, stellte ich erleichtert fest, dass meine Mitbewohnerinnen ausgegangen waren. Tom ließ mir ein Bad einlaufen. Aus dem kochend heißen Wasser stieg Dampf auf, der an den eiskalten Wänden kondensierte. Die Tropfen rannen daran herunter und bildeten auf dem geblümten Linoleum kleine Pfützen. Wir stiegen zusammen in die Wanne, ganz schön eng war es, wir massierten uns gegenseitig die Füße und sangen alte Beatles-Songs. Lange vor mir stieg er aus, trocknete sich ab und ging weitere Handtücher holen. Auch er [380] war betrunken, half mir aber liebevoll aus der Wanne, rubbelte mich ab wie ein Kind und führte mich zu meinem Bett. Er selbst ging nach unten, kam mit zwei Tassen Tee zurück und legte sich zu mir. Und dann wurde ich nach Strich und Faden verwöhnt.
Noch Monate, noch Jahre später, lange nach allem, was dann geschah, rief ich mir, wenn ich nachts aufwachte und Trost brauchte, diesen Frühwinterabend in Erinnerung, als ich in seinen Armen lag und er mein Gesicht mit Küssen bedeckte und ein ums andere Mal sagte, wie dumm ich gewesen war, wie leid es ihm tat und wie sehr er mich liebte.
[381] 20
Ende Februar, wenige Tage vor den Wahlen, gab die Jury für den Jane-Austen-Preis ihre Shortlist bekannt, und darauf fand sich, versteckt zwischen den üblichen Giganten – Burgess, Murdoch, Farrell, Spark und Drabble –, auch ein vollkommen Unbekannter, ein gewisser T. H. Haley. Aber kaum jemand nahm Notiz von ihm. Die Pressemitteilung kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt, alle redeten an diesem Tag nur von Enoch Powells Attacke auf den Premierminister, den Führer seiner eigenen Partei. Der arme dicke Ted! Die Leute sorgten sich nicht mehr um die Bergarbeiter oder die Frage, wer England regierte, seit neuestem sorgten sie sich um die Inflationsrate von 20 Prozent und den wirtschaftlichen Zusammenbruch und ob wir auf Powell hören, für Labour stimmen und Europa den Rücken kehren sollten.
Kein guter Moment, das Land aufzufordern, sich mit zeitgenössischer Literatur auseinanderzusetzen. Da die Dreitagewoche landesweite Stromausfälle tatsächlich verhindert hatte, hielt man die ganze Angelegenheit jetzt für einen Betrug. Die Kohlevorräte waren also doch nicht so gering, die Industrieproduktion gar nicht so sehr beeinträchtigt worden, und allgemein herrschte der Eindruck vor, dass man uns grundlos in Angst und Schrecken [382] versetzt hatte, beziehungsweise aus politischem Kalkül, und dass das alles gar nicht nötig gewesen wäre.
Und so kam es, dass Edward Heath allen Vorhersagen zum Trotz mitsamt seinem Klavier, seinen Noten und Seestücken aus Downing Street ausziehen musste, und Harold und Mary Wilson für eine zweite Amtszeit zurückkehrten. In einem Fernseher bei uns im Büro sah ich den neuen Premierminister Anfang März vor der Downing Street Nummer 10 stehen, gebeugt und gebrechlich, fast so müde wie Heath. Alle waren müde, und in Leconfield House war man außerdem niedergeschlagen, weil das Land den Falschen gewählt hatte.
Ich hatte ein zweites Mal für Wilson gestimmt, für diesen gerissenen linken Überlebenskünstler, und hätte bessere Laune haben sollen als die meisten anderen, war aber nach einer schlaflosen Nacht völlig erschöpft. Die ganze Zeit musste ich an die Shortlist denken. Natürlich wollte ich, dass Tom den Preis bekam, ich wollte es mehr als er selbst. Aber Peter Nutting und ein paar andere hatten Aus dem Tiefland von Somerset in den Fahnen gelesen und für »schwach und dürftig« befunden, für »modisch pessimistisch und langweilig« – das jedenfalls erzählte mir Nutting, als wir uns einmal in der Mittagspause auf der Curzon Street begegneten. Er ging sogleich weiter, wobei er mit seinem eingerollten Schirm aufs Pflaster klopfte, und ich begriff: Wenn meine Wahl suspekt war, dann war ich selbst es auch.
Als die Presse sich dann doch noch für den Austen-Preis zu interessieren begann, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf den einzigen neuen Namen auf der Liste. Noch [383] nie hatte ihn ein Autor für seinen Erstling bekommen. In der hundertjährigen Geschichte des Preises war der kürzeste Roman, der jemals gewonnen hatte, doppelt so lang wie Aus dem Tiefland. Aus etlichen Artikeln hörte man den unterschwelligen Vorwurf heraus, ein Kurzroman sei etwas Unmännliches oder Unredliches. Die Sunday Times brachte ein ausführliches Porträt von Tom mit einem Foto, das ihn vor dem Palace Pier zeigte, auf fast kindliche Art glücklich und
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