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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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anderen Philosophen oder Historiker. Das Preisgeld war früher einmal beträchtlich gewesen – 1875 kam man mit zweitausend Pfund noch ziemlich weit. Heutzutage konnte es mit dem Booker nicht mehr mithalten. Der Austen war eine reine Prestigesache. Es gab Überlegungen, die Dorchester-Veranstaltung im Fernsehen zu übertragen, aber die älteren Ausschussmitglieder scheuten davor zurück, und Tom zufolge würde vermutlich viel eher der Booker ins Fernsehen kommen.
    Der Empfang fand am nächsten Abend um sechs Uhr [389] statt. Um fünf schickte ich Tom vom Postamt in Mayfair aus ein Telegramm ins Dorchester. Bin krank. Verdorbenes Sandwich. In Gedanken bei dir. Komm hinterher nach Camden. Liebe Dich. S. Bedrückt schlich ich ins Büro zurück, angewidert von mir selbst und der Zwickmühle, in der ich steckte. Früher hätte ich mich gefragt, was Tony an meiner Stelle getan hätte. Das half mir jetzt nicht mehr. Ich hatte keine Mühe, meine finstere Stimmung für Unwohlsein auszugeben und mich von Mount vorzeitig nach Hause schicken zu lassen. Um sechs, als ich eigentlich an Toms Arm im Dorchester hätte Einzug halten sollen, kam ich in meiner Wohnung an. Gegen acht fiel mir ein, dass ich besser gleich in meine Rolle schlüpfte, für den Fall, dass Tom schon früh hier auftauchte. Dass es mir nicht gut ging, brauchte ich mir nicht mal vorzuspielen. Schlechtgelaunt und voller Selbstmitleid legte ich mich in Schlafanzug und Morgenmantel aufs Bett, las eine Weile, döste schließlich ein. Die Türklingel, ein oder zwei Stunden später, hörte ich nicht.
    Eins der Mädchen musste Tom hereingelassen haben, denn als ich die Augen aufschlug, stand er neben mir am Bett, in der einen Hand seinen Scheck, den er an einer Ecke hochhielt, in der anderen ein fertiges Exemplar seines Romans. Er grinste wie ein Idiot. Ich vergaß mein vergiftetes Sandwich, sprang auf und umarmte ihn, wir jubelten und tobten und veranstalteten einen solchen Lärm, dass Tricia an die Tür klopfte und fragte, ob wir Hilfe brauchten. Wir beruhigten sie, dann liebten wir uns (er wirkte wie ausgehungert), und gleich danach nahmen wir ein Taxi zum White Tower.
    [390] Dort waren wir seit unserem ersten Abend nicht mehr gewesen, also war es in gewisser Weise ein Jubiläum. Ich hatte es mir nicht nehmen lassen, Aus dem Tiefland von Somerset einzustecken, und jetzt reichten wir uns das Buch über den Tisch hin und her, blätterten in den hunderteinundvierzig Seiten, bewunderten das Schriftbild, erfreuten uns am Autorenfoto und an dem Umschlag, der in körnigem Schwarzweiß eine Stadt in Trümmern zeigte, vermutlich Berlin oder Dresden im Jahr 1945. Beim Anblick der Widmung, »Für Serena«, schlug ich alle Sicherheitsbedenken in den Wind und stieß einen lauten Freudenschrei aus, sprang auf und küsste ihn und ließ mir dann von dem Abend erzählen, von William Goldings launiger Rede und dem unverständlichen Sermon des Juryvorsitzenden, eines Professors aus Cardiff. Nachdem man seinen Namen verkündet hatte, war Tom auf dem Weg nach vorn vor lauter Nervosität über eine Teppichkante gestolpert und hatte sich an einer Stuhllehne die Hand angeschlagen. Ich küsste sie zärtlich. Nach dem Festakt gab er vier kurze Interviews, aber da noch niemand sein Buch gelesen hatte, spielte es keine Rolle, was er sagte, und er kam sich dabei wie ein Betrüger vor. Ich bestellte zwei Gläser Champagner, und wir stießen auf den einzigen Erstlingsautor an, der jemals den Austen-Preis bekommen hatte. Das alles war so wunderbar, dass wir gar nicht auf die Idee kamen, uns zu betrinken. Ich vergaß jedoch nicht, vorsichtig zu essen, immerhin hatte ich mir ja den Magen verdorben.
    Tom Maschler hatte die Veröffentlichung mit der Präzision einer Mondlandung geplant. Oder als habe er bei der [391] Vergabe des Austen-Preises ein Wörtchen mitzureden gehabt. Die Shortlist, die Artikel, die Bekanntgabe des Preises – all das nährte eine gespannte Erwartung, die gegen Ende der Woche erfüllt wurde, als das Buch zusammen mit den ersten Besprechungen in die Läden kam. Unser Plan fürs Wochenende war einfach. Tom wollte weiterschreiben, ich wollte auf der Fahrt zu ihm die Kritiken lesen. Am Freitagabend saß ich mit sieben Rezensionen auf dem Schoß im Zug nach Brighton. Die Welt spendete meinem Liebsten vorwiegend Lob. Der Telegraph schrieb: »Der einzige Hoffnungsschimmer ist das Band, das Vater und Tochter vereint (eine Liebe, so zart beschrieben, wie nur selten in der

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