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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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wenn es so weit war, meine Sachen packen oder gleich verschwinden sollte. Ich hatte einen kleinen Koffer unterm Bett. Ich durfte meinen Föhn nicht vergessen. Aber vielleicht bliebe dazu gar keine Zeit. Vielleicht warf er mich einfach raus.
    [397] Endlich sah er mich an und sagte in neutralem Ton: »Schrecklich.«
    »Ja.«
    »Was soll ich sagen?«
    »Tom, ich weiß nicht…«
    »Die Herkunft dieser Gelder. Hör dir das an. Stiftung bla bla, ›zu deren Geldgebern unter anderem eine Organisation zählt, die indirekt vom Geheimdienst finanziert wird‹.«
    »Es tut mir so leid, Tom.«
    »Unter anderem? Indirekt? Über drei Zwischenstationen? Wie hätten wir das wissen sollen?«
    »Ich weiß es auch nicht.«
    Ich hörte das »wir«, nahm es aber nicht richtig wahr.
    Er sagte: »Ich war bei denen im Büro, ich habe mir die ganzen Unterlagen angesehen. Alles völlig einwandfrei.«
    »Ja, natürlich.«
    »Wahrscheinlich hätte ich auch noch die Konten überprüfen sollen. Bin ich ein Scheiß-Buchhalter oder was?«
    Jetzt war er empört. »Ich kapiere das einfach nicht. Wenn die Regierung bestimmte Meinungen verbreiten will, warum dann heimlich?«
    »Genau.«
    »Die haben regierungsfreundliche Journalisten, den Arts Council, Stipendien, die BBC , PR -Abteilungen, die Königliche Akademie und was weiß ich noch alles. Die haben das komplette Bildungssystem unter sich! Wozu den MI 5 einsetzen?«
    »Völlig verrückt, Tom.«
    »Der reine Wahnsinn. So halten sich diese geheimen Bürokratien am Leben. Irgendein kleiner Scheißer spinnt sich [398] was zusammen, um bei seinen Vorgesetzten Eindruck zu schinden. Und keiner weiß, wozu das gut sein soll. Keinem fällt es auch nur ein, mal nachzufragen. Genau wie bei Kafka.«
    Er sprang auf und kam zu mir.
    »Hör zu. Serena. Kein Mensch hat mir jemals gesagt, was ich schreiben soll. Nur weil ich mich für einen inhaftierten rumänischen Dichter einsetze, bin ich noch lange kein Rechter. Und ich bin auch kein Werkzeug des MI 5, wenn ich die Berliner Mauer einen Haufen Scheiße nenne. Oder westdeutsche Autoren, die darüber kein Wort verlieren, als Feiglinge bezeichne.«
    »Natürlich nicht.«
    »Aber das unterstellen die mir. Gleichgesinnter! Und am Ende glauben die Leute das noch!«
    War es wirklich so simpel, liebte er mich so sehr, fühlte er sich von mir so geliebt, dass er gar nicht auf die Idee kam, mich zu verdächtigen? War er so simpel? Er begann in dem kleinen Mansardenzimmer auf und ab zu gehen. Der Boden knarrte laut, die Hängelampe am Dachbalken geriet ins Schlingern. Jetzt, wo wir schon so weit waren, hätte ich ihm die Wahrheit sagen müssen. Aber ich konnte mir diese Gnadenfrist einfach nicht versagen.
    Er geriet wieder in Rage. Warum er? Wie ungerecht! Wie infam! Ausgerechnet jetzt, wo seine Karriere endlich ins Rollen kam.
    Dann blieb er stehen: »Am Montag gehe ich zur Bank und sage denen, dass ich die Annahme weiterer Zahlungen verweigere.«
    »Gute Idee.«
    [399] »Fürs Erste kann ich von dem Preisgeld leben.«
    »Ja.«
    »Aber, Serena…« Er kam zu mir und nahm meine Hände. Wir sahen uns in die Augen, küssten uns.
    »Serena, was soll ich jetzt machen?«
    Als ich die Sprache wiederfand, klang meine Stimme matt und tonlos: »Ich denke, du solltest eine Presseerklärung abgeben. Du schreibst was und gibst es telefonisch der Press Association durch.«
    »Du musst mir dabei helfen.«
    »Klar. Du sagst, dass du nichts davon gewusst hast, dass du schockiert bist und das Geld nicht willst.«
    »Du bist großartig. Ich liebe dich.«
    Er legte die losen Blätter seines neuen Romans in eine Schublade und verschloss sie. Ich setzte mich an die Schreibmaschine, spannte einen neuen Bogen ein, und dann entwarfen wir eine Erklärung. Ich brauchte einige Minuten, um mich an die sensiblen Tasten der elektrischen Maschine zu gewöhnen. Als wir fertig waren, las ich ihm den Text noch einmal vor, und er sagte: »Du kannst noch dazuschreiben: ›Ich möchte klarstellen, dass ich niemals schriftlichen oder persönlichen Kontakt mit Mitarbeitern des MI 5 gehabt habe.‹«
    Mir wurde ganz schummrig. »Das ist doch nicht nötig. Es folgt schon aus dem Rest. Zu viele Beteuerungen klingen auch verdächtig.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher. Wäre es nicht gut, das klarzustellen?«
    »Es ist auch so schon klar genug, Tom. Ehrlich. Ist nicht nötig.«
    [400] Wieder sahen wir uns in die Augen. Seine waren rot vor Erschöpfung. Ansonsten sah ich darin nichts als Vertrauen.
    »Na

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