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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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zeitgenössischen Literatur). Aber der Leser spürt schon früh, dass in diesem düsteren Meisterwerk kein Band unzerschnitten bleiben kann. Das Finale zerreißt einem schier das Herz.« Das Times Literary Supplement: »Ein seltsames Glühen, ein unheimliches unterirdisches Leuchten schimmert in Haleys Prosa und entfaltet in der Phantasie des Lesers eine halluzinogene Wirkung, die diese gespenstische Endzeitwelt in ein Reich von herber und unwiderstehlicher Schönheit zu verwandeln vermag.« Der Listener: »Seine Prosa kennt kein Pardon. Er hat den erschöpften, gleichmütig starren Blick des Psychopathen, und seine Protagonisten, moralisch unbescholtene und körperlich reizvolle Geschöpfe, müssen in einer gottlosen Welt ihr Schicksal mit dem übelsten Abschaum teilen.« Die Times: »Wenn Mr. Haley seine Hunde loshetzt, um einem verhungernden Bettler die Eingeweide herauszureißen, dann stellt uns eine moderne Ästhetik auf die Probe und provoziert uns, Einspruch zu erheben oder wenigstens zusammenzuzucken. Bei den meisten anderen [392] Autoren wäre diese Szene ein gedankenloses und unverzeihliches Spiel mit dem Leid, doch Haleys Weltsicht ist sowohl hart als auch transzendent. Vom ersten Absatz an ist man in seinen Händen und hat die Gewissheit, dass er weiß, was er tut, und dass man ihm vertrauen kann. Dieses schmale Buch kündet – Verheißung oder Bürde? – von Genie.«
    Wir hatten Haywards Heath bereits hinter uns gelassen. Ich nahm das Buch, mein Buch, aus der Handtasche und las aufs Geratewohl ein paar Seiten, und schon fing ich an, es mit neuen Augen zu sehen. So groß war die geballte Kraft dieser einhelligen Lobeshymnen, dass Aus dem Tiefland mir jetzt ganz anders erschien, abgeklärter und konsequenter, die Sprache hatte einen hypnotischen Rhythmus. Und diese Klugheit. Das Buch las sich wie ein majestätisches Gedicht, so konkret und zugleich aus der Zeit gefallen wie Adlestrop von Edward Thomas. Durch das jambische Rattern des Zuges hindurch (von wem hatte ich dieses Wort wohl gelernt?) hörte ich Tom seinen Text rezitieren. Was wusste ich denn schon, eine kleine Geheimdienstangestellte, die noch vor zwei oder drei Jahren Jacqueline Susann Jane Austen vorzog? Aber war diesem einhelligen Lob zu trauen? Ich griff zum New Statesman, dessen »hintere Hälfte«, wie Tom mir erklärt hatte, in der literarischen Welt etwas galt. Das Inhaltsverzeichnis verriet, dass die Rezension der Aufmacher des Kulturteils war und von der Feuilletonchefin persönlich stammte. Ihr Urteil: »Zugegeben, es gibt souveräne Momente, klinisch präzise Schilderungen, die den Leser vor Ekel über die Menschheit erschaudern lassen, aber insgesamt wirkt der Roman gewollt, ein wenig [393] formelhaft, manipulativ und letztlich schwach. Der Autor macht sich (aber nicht dem Leser) vor, er habe etwas Gewichtiges über unser aller Misere zu sagen. Was fehlt, ist Weitblick, Ehrgeiz und schlicht Intelligenz. Trotzdem ist von Haley in Zukunft vielleicht doch noch etwas zu erwarten.« Dann ein winziger Artikel in der Londoner Klatschspalte des Evening Standard: »Eine der fragwürdigsten Entscheidungen, die eine Jury je getroffen hat… die diesjährigen Austen-Juroren haben sich, vielleicht mit kollektiven Ambitionen auf einen Posten im Finanzministerium, dafür entschieden, die Währung ihres Preises abzuwerten. Sie kürten eine pubertäre Antiutopie, eine läppische Verherrlichung von Chaos und Barbarei, der man nur zugutehalten kann, dass sie kaum länger als eine Kurzgeschichte ist.«
    Tom hatte gesagt, er wolle die Rezensionen nicht sehen, also las ich ihm am Abend in seiner Wohnung nur die besten Stellen aus den positiven vor und fasste die negativen so schonend wie möglich zusammen. Das Lob freute ihn natürlich, aber er war offensichtlich schon ganz woanders. Selbst als ich die Passage vorlas, in der das Wort »Meisterwerk« vorkam, warf er einen zerstreuten Blick auf eine seiner Manuskriptseiten. Und kaum hatte ich geendet, tippte er weiter, auch am Abend wollte er die Arbeit nicht unterbrechen. Ich zog los, besorgte etwas zu essen, und er aß dann seine Fish and Chips an der Schreibmaschine, wobei er sie auf dem Evening Argus vom Vortag ablegte, der ihn besonders wohlwollend rezensiert hatte.
    Ich las unterdessen, und wir sprachen kaum ein Wort, bis ich ins Bett ging. Als er sich eine Stunde später zu mir legte, [394] war ich noch wach, und wieder schlief er auf diese neue, hungrige Weise mit mir, als hätte er ein Jahr lang

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