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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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traf mich mit ein paar Freunden, die auf Durchreise waren, entfernte mich aber nie sehr weit vom Telefon. Am fünften Tag ging ich zu Tonys College, hinterließ eine Nachricht beim Pförtner und eilte nach Hause, voller Sorge, ich könnte in der Zwischenzeit einen Anruf von ihm verpasst haben. Ich selbst konnte ihn nicht anrufen – mein Geliebter hatte seine Privatnummer geflissentlich für sich behalten. Am Abend rief er an. Er sprach mit belegter Stimme. Nächsten Morgen um zehn an der Bushaltestelle, teilte er mir grußlos mit. In meine klagende Nachfrage hinein legte er auf. Natürlich habe ich in dieser Nacht kaum ein Auge zugetan. Erstaunlich ist jedoch, dass mir die Sorge um ihn den Schlaf raubte, wo ich dumme [46] Gans doch hätte wissen müssen, dass ich reif fürs Schlachtbeil war.
    Im Morgengrauen nahm ich ein Bad und hüllte mich in Düfte. Um sieben war ich bereit. Eine närrische Träumerin, im Gepäck die Unterwäsche, die er so mochte (schwarz natürlich, und violett), und Turnschuhe für Waldspaziergänge. Fünf vor halb zehn war ich an der Bushaltestelle, voller Sorge, dass er früher kommen und enttäuscht sein könnte, wenn er mich nicht dort sah. Er kam um Viertel nach zehn. Er stieß die Beifahrertür auf, ich ließ mich hineingleiten, bekam aber keinen Kuss. Er behielt beide Hände am Steuer und brauste sofort los. Wir fuhren ungefähr zehn Meilen, ohne dass er mit mir sprach. Seine Fingerknöchel traten vor Anspannung weiß hervor, er sah stur geradeaus. Was hatte er nur? Er wollte es mir nicht sagen. Ich war verzweifelt und bekam es mit der Angst zu tun, so hektisch wechselte er in seinem kleinen Auto immer wieder die Spur, so waghalsig überholte er an Steigungen und in Kurven – wie um mich vor dem aufziehenden Sturm zu warnen.
    An einem Kreisel wendete er, fuhr Richtung Cambridge zurück und bog dann auf einen Rastplatz an der A45 ein. Öliger Rasen, mit Unrat übersät, auf der zertrampelten Erde daneben ein Kiosk, der Hotdogs und Hamburger an LKW -Fahrer verkaufte. So früh am Vormittag hatte die Bude noch geschlossen, die Rollläden waren heruntergelassen, die Parkplätze leer. Wir stiegen aus. Es war ein denkbar unangenehmer Tag am Ende des Sommers – sonnig, windig, staubig. Rechts zog sich eine Reihe weit auseinanderstehender, verdorrter Ahornbäumchen hin, jenseits davon donnerte der Verkehr. Man kam sich vor wie am Rand einer [47] Rennstrecke. Der Rastplatz war ein paar hundert Meter lang. Tony marschierte los, und ich versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Zum Reden mussten wir fast schreien.
    Als Erstes sagte er: »Dein kleiner Trick hat jedenfalls nicht funktioniert.«
    »Was für ein Trick?«
    Ich kramte hastig in der jüngeren Vergangenheit. Da war kein Trick zu finden, und so schöpfte ich plötzlich Hoffnung, es gehe um irgendeine Kleinigkeit, die wir rasch beilegen könnten. Wir würden gleich darüber lachen, dachte ich sogar. Wir könnten noch vor Mittag zusammen im Bett liegen.
    Wir kamen zu der Stelle, wo der Rastplatz in die Straße mündete. »Merk dir eins«, sagte er, und wir blieben stehen. »Du wirst Frieda und mich nie auseinanderbringen.«
    »Tony, was für ein Trick ?«
    Er kehrte wieder in Richtung seines Wagens um, ich folgte ihm. »So ein verdammter Alptraum«, schimpfte er vor sich hin.
    Ich schrie durch den Lärm. »Tony! Sag’s mir endlich!«
    »Freust du dich nicht? Gestern Abend hatten wir den schlimmsten Streit seit fünfundzwanzig Jahren. Wenn das für dich kein Grund zum Jubeln ist!«
    Selbst ich, unerfahren, verdattert und entsetzt, wie ich war, nahm die Absurdität dieser Szene wahr. Er würde das schon noch erklären, also blieb ich stumm und wartete. Wir gingen an seinem Auto und dem geschlossenen Kiosk vorbei. Rechts war eine hohe, staubige Weißdornhecke. Buntes Bonbonpapier und Chipstüten hatten sich zwischen den stachligen Zweigen verfangen. Im Gras lag ein [48] benutztes Kondom von grotesker Länge. Genau der passende Ort, um eine Affäre zu beenden.
    »Serena, wie konntest du nur so dumm sein?«
    Und dumm kam ich mir tatsächlich auch vor. Wieder blieben wir stehen, ich sagte mit einer bebenden Stimme, über die ich keine Gewalt mehr hatte: »Ich verstehe dich wirklich nicht.«
    »Du wolltest, dass sie deine Bluse findet. Nun, sie hat sie gefunden. Du dachtest, sie rastet aus, und du hattest recht. Du dachtest, du kannst meine Ehe zerstören und dich ins gemachte Nest setzen, aber da hast du dich geschnitten.«
    Die Ungerechtigkeit des

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