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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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seinem Willen unterwerfen, sein rechtmäßiges Erbe antreten und das Problem endlich an der Wurzel packen.
    Es gab keinen Applaus, nicht zuletzt, weil der Brigadier [110] beschwörend die Stimme erhoben hatte, und das kam in diesem Haus gar nicht gut an. Auch wussten alle, dass es mit einem Vorstoß in höchste Regierungskreise längst nicht getan wäre. Während der Diskussion zwischen dem Brigadier und dem Generaldirektor machte ich mir keine Notizen. Von den anschließenden Fragen aus dem Publikum hielt ich nur eine fest, stellvertretend für den allgemeinen Tenor. Einige ehemalige Kolonialbeamte meldeten sich zu Wort – insbesondere ist mir Jack MacGregor in Erinnerung, ein trockener Typ mit rötlichen Haaren, der wie ein Südafrikaner beim Sprechen die Vokale verschluckte, aber ursprünglich aus Surrey stammte. Er und seine Kollegen wollten vor allem wissen, wie denn auf einen Zusammenbruch der Gesellschaft zu reagieren sei. Welche Rolle kam dabei dem Geheimdienst zu? Oder dem Militär? Sollten wir, falls der Regierung die Zügel entglitten, dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung tatenlos zusehen?
    Der Generaldirektor antwortete – knapp und mit übertriebener Höflichkeit. Der MI 5 sei dem Gemeinsamen Geheimdienstausschuss und dem Innenminister unterstellt, das Militär dem Verteidigungsminister, und dabei werde es auch bleiben. Die Notstandsgesetze genügten, um jeder Bedrohung zu begegnen, und böten selbst schon ein gewisses Konfliktpotential mit der Demokratie.
    Einige Minuten später wiederholte ein anderer Ex-Kolonialbeamter die Frage in zugespitzter Form. Angenommen, bei den nächsten Wahlen komme wieder eine Labour-Regierung an die Macht. Und angenommen, der linke Labour-Flügel mache gemeinsame Sache mit radikalen Gewerkschaftern, und man erkenne eine direkte Bedrohung [111] der parlamentarischen Demokratie. Für einen solchen Fall seien doch sicherlich gewisse Vorkehrungen angebracht.
    Ich notierte mir den genauen Wortlaut der Antwort des GD : »Ich sollte doch meinen, dass ich mich klar ausgedrückt habe. Die Demokratie wiederherstellen, wie man das nennt, das machen Armee und Geheimdienste vielleicht in Paraguay. Hier nicht.«
    Ich hatte den Eindruck, es war dem GD peinlich, dass diese Viehzüchter und Teepflanzer – so sah er sie vermutlich – vor einem Außenstehenden ihr wahres Gesicht zeigten. Der Brigadier nickte ernst.
    In diesem Augenblick schreckte Shirley die Versammlung auf, indem sie neben mir in der letzten Reihe laut ausrief: »Diese Spinner wollen einen Putsch inszenieren!«
    Der ganze Saal schnappte nach Luft, und alles drehte sich nach uns um. Shirley hatte gleich mehrere Regeln gebrochen. Sie hatte gesprochen, ohne vom Generaldirektor dazu aufgefordert worden zu sein, und obendrein den saloppen Ausdruck »Spinner« verwendet. Damit hatte sie gegen die Etikette verstoßen und zwei im Rang weit über ihr stehende Beamte beleidigt. Sie hatte sich vor einem Gast rüde benommen. Und sie war ein Niemand, und sie war eine Frau. Und das Allerschlimmste: Sie hatte wahrscheinlich recht. Nichts davon hätte mich sonderlich tangiert – nur hielt Shirley den wütenden Blicken unbekümmert stand, während ich einen roten Kopf bekam. Je mehr mir das Blut ins Gesicht schoss, desto sicherer waren sich alle, dass ich die Zwischenruferin war. Und als mir das bewusst wurde, errötete ich noch mehr, bis mein Hals wie Feuer brannte. Die Blicke waren nicht mehr auf uns beide [112] gerichtet, sondern nur noch auf mich. Ich hätte mich am liebsten unter meinem Stuhl verkrochen. Die Scham über ein Verbrechen, das ich nicht begangen hatte, schnürte mir die Kehle zu. Ich blätterte in meinem Notizbuch herum – in diesen Notizen, die mir Respekt einbringen sollten –, senkte den Blick, starrte auf meine Knie und lieferte damit weitere Beweise für meine Schuld.
    Der Generaldirektor stellte die Ordnung wieder her, indem er dem Brigadier seinen Dank aussprach. Es gab Applaus, der Brigadier und der GD verließen den Raum, die anderen erhoben sich zum Gehen und drehten sich noch einmal nach mir um.
    Plötzlich stand Max vor mir. Er sagte leise: »Serena, das war keine gute Idee.«
    Ich wollte Shirley bitten, das klarzustellen, aber sie war bereits in der Menge, die zur Tür hinausströmte. Ich weiß nicht, welch masochistischer Ehrenkodex mich davon abhielt zu sagen, dass der Zwischenruf nicht von mir kam. Dabei war ich mir sicher, dass der GD sich nach meinem Namen erkundigen und jemand wie Harry

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