Honig
auf den Seiten. Das »k« in »Springklene« war eine vergnügte Putzfrau, die einen Federwisch schwang. Ich fand uns viel zu auffällig. Shirley fuhr überraschend sicher, kurvte mit Tempo um den Hyde Park Corner und führte mir eine spektakuläre Technik mit dem Schalthebel vor; sogenanntes Zwischenkuppeln, erklärte sie, das müsse man bei so einer alten Kiste.
In einem georgianischen Haus in einer ruhigen Seitenstraße nahm die sichere Wohnung das ganze Erdgeschoss ein, sie war geräumiger, als ich erwartet hatte. Alle Fenster waren vergittert. Wir gingen mit unseren Wischlappen, Putzmitteln und Eimern hinein und machten erst einmal [116] einen Rundgang. Le Prevost hatte einiges durchblicken lassen, aber der Saustall, den wir antrafen, spottete jeder Beschreibung und war eindeutig männlichen Ursprungs, bis hin zu dem einst durchweichten Zigarrenstummel auf dem Badewannenrand und dem kniehohen Stapel alter Times -Ausgaben neben der Toilette, manche schon, ihrer letzten Bestimmung harrend, in Streifen gerissen. Das Wohnzimmer war nächtlich verwaist – zugezogene Vorhänge, leere Wodka- und Scotchflaschen, randvolle Aschenbecher, vier Gläser. Drei Schlafzimmer, im kleinsten ein Einzelbett. Auf der nackten Matratze ein großer, getrockneter Blutfleck, genau in Kopfkissenhöhe. Shirley machte ihrer Entrüstung Luft, mich überlief es heiß und kalt. Hier war jemand intensiv verhört worden. Die Akten der Registratur bezogen sich auf reale Schicksale.
Während wir das Chaos weiter in Augenschein nahmen, riss Shirleys Gezeter nicht ab, und ganz offenbar wollte sie, dass ich mit einstimmte. Ich probierte es, aber mein Herz war nicht bei der Sache. Wenn meine kleine Rolle im Krieg gegen den Totalitarismus darin bestehen sollte, verschimmelte Lebensmittel wegzuwerfen und schmutzstarrende Badewannen zu schrubben – warum nicht? Das war nur wenig stumpfsinniger, als Aktenvermerke zu tippen.
Wie sich zeigte, hatte ich von dieser Art von Arbeit mehr Ahnung als Shirley – eigentlich erstaunlich, wenn man meine verhätschelte Kindheit mit Kindermädchen und Putzfrau bedenkt. Ich schlug vor, als Erstes das Gröbste in Angriff zu nehmen – Toiletten, Bad, Küche, den Müll raustragen –, danach die Möbel abzuwischen, die Fußböden zu fegen und erst ganz zum Schluss die Betten zu machen. [117] Zuallererst jedoch drehten wir Shirley zuliebe die Matratze um. Im Wohnzimmer stand ein Radio, und wir fanden, es würde zu unserer Legende passen, wenn wir bei der Arbeit Popmusik hörten. Wir schufteten zwei Stunden, dann nahm ich einen der Fünf-Pfund-Scheine und ging das Nötige für unsere Teepause einkaufen. Auf dem Rückweg warf ich ein paar Münzen in die Parkuhr. Als ich ins Haus zurückkehrte, saß Shirley auf der Kante eines Doppelbetts und schrieb in ihr rosa Büchlein. Wir setzten uns in die Küche, rauchten, tranken Tee und aßen Schokoladenkekse. Das Radio lief, Licht und frische Luft drangen durch die offenen Fenster, und Shirley, jetzt wieder guter Dinge, vertilgte die letzten Kekse und erzählte mir eine verblüffende Geschichte.
Ihr Englischlehrer an der Gesamtschule in Ilford – eine Autorität in ihrem Leben, wie manche Lehrer es sein können – war Labour-Stadtrat, vermutlich ehemals KP -Mitglied, und ermöglichte es ihr mit sechzehn, an einem Austauschprogramm mit deutschen Schülern teilzunehmen. Das heißt, sie fuhr mit einigen Mitschülern ins kommunistische Ostdeutschland, in ein Dorf, eine Bus-Stunde von Leipzig entfernt.
»Ich dachte, das wird saublöd. Alle haben das gesagt. Aber Serena, es war das reinste Paradies.«
»Die DDR ?«
Sie hatte bei einer Familie am Dorfrand gewohnt. Das Haus war ein hässlicher, vollgestopfter Zweizimmer-Bungalow, hatte aber einen riesigen Obstgarten mit einem Bach, und in der Nähe begann ein Wald, so groß, dass man sich darin verlaufen konnte. Der Vater war [118] Fernsehtechniker, die Mutter Ärztin, und dann gab es zwei kleine Töchter, beide noch keine fünf Jahre alt, die den Gast aus England schnell liebgewannen und frühmorgens zu Shirley ins Bett gekrochen kamen. In Ostdeutschland schien immer die Sonne – es war April, und zufällig gab es eine Hitzewelle. Man ging im Wald Morcheln sammeln, die Nachbarn waren freundlich, alle machten Shirley Komplimente über ihr Deutsch, jemand hatte eine Gitarre und kannte ein paar Dylan-Songs, ein gutaussehender Junge mit drei Fingern an einer Hand war scharf auf sie. Einmal fuhr er mit ihr nach Leipzig zu einem
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