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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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einem Krug. Kein neues, selbstbewusstes Strahlen in seinen Augen, auch keine dunklen Ringe darunter. Abgesehen von dem neuen weißen Hemd, einer Krawatte in einem etwas dunkleren Blau und einem neuen dunklen Anzug schien er mir unverändert. Hatten sie vielleicht getrennte Zimmer gehabt, um sich für die Hochzeitsnacht aufzusparen? Konnte das sein? Nach allem, was ich von Medizinern und ihren endlosen und chaotischen Lehrjahren wusste, eher nicht. Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass Max’ Mutter eine Direktive ausgegeben und Max sich gehorsam Zurückhaltung auferlegt hatte, hätte Dr. Ruth ihn doch sicherlich vernascht. Das schwache Fleisch war ihr Beruf. Na schön, ich wollte Max immer noch, aber ich wollte auch Tom Haley, und das bot einen gewissen Schutz, wenn ich einmal davon absah, dass ich Haley vollkommen gleichgültig war.
    »Also«, begann Max schließlich. Er blickte von der Honig-Akte auf und wartete.
    »Wie war’s in Taormina?«
    »Ob du’s glaubst oder nicht, es hat die ganze Zeit geregnet.«
    Mit anderen Worten: Sie hatten die ganze Zeit im Bett verbracht. Wie zur Bestätigung fügte er eilig hinzu: »Also haben wir eine Menge Kirchen, Museen und dergleichen von innen gesehen.«
    »Klingt toll«, sagte ich matt.
    Er sah mich scharf an, als wittere er Ironie, nahm aber wohl keine wahr.
    Er sagte: »Hat sich Haley gemeldet?«
    [238] »Noch nicht. Das Treffen lief gut. Das Geld hat er dringend nötig. Er kann sein Glück nicht fassen. Vorige Woche ist er nach London gekommen, um sich die Stiftung anzusehen. Denkt noch drüber nach, nehme ich an.«
    Seltsam, aber mich so reden zu hören, munterte mich auf. Ja, dachte ich. Ich sollte versuchen, vernünftiger zu sein.
    »Wie war er?«
    »Recht umgänglich.«
    »Nein, ich meine, wie ist er?«
    »Kluger Kopf. Hochgebildet, lebt ganz offensichtlich für die Literatur. Die Studenten beten ihn an. Attraktiv, aber auf unkonventionelle Art.«
    »Ich habe ein Foto von ihm gesehen«, sagte Max. Vielleicht bereut er jetzt sein Versäumnis, überlegte ich. Er hätte mit mir schlafen und erst dann seine Verlobung bekanntgeben können. Ich glaubte es meiner Selbstachtung schuldig zu sein, mit Max zu flirten, ihm unter die Nase zu reiben, was er verpasst hatte.
    »Ich hatte auf eine Postkarte von dir gehofft.«
    »Entschuldige, Serena. Mache ich nie – ist einfach nicht mein Ding.«
    »Wart ihr glücklich?«
    Die unverblümte Frage überraschte ihn. Ich genoss seine Verwirrung. »Ja, ja, das waren wir. Sehr glücklich sogar. Aber…«
    »Aber?«
    »Da ist noch eine Sache…«
    »Ja?«
    »Über den Urlaub und so weiter können wir später [239] reden. Noch mal kurz zu Haley. Gib ihm eine Woche, dann schreib ihm, dass wir sofort Bescheid wissen müssen, sonst ziehen wir das Angebot zurück.«
    »Gut.«
    Er klappte die Akte zu. »Die Sache ist die. Erinnerst du dich an Oleg Lyalin?«
    »Du hast ihn mal erwähnt.«
    »Ich dürfte davon eigentlich gar nichts wissen. Und du erst recht nicht. Aber solche Klatschgeschichten sprechen sich schnell herum. Da kann ich es dir genauso gut erzählen. Er war ein ganz großer Fang für uns. Wollte einundsiebzig überlaufen, aber offenbar haben wir ihn dann noch ein paar Monate auf seinem Posten hier in London belassen. Der MI 5 hatte alles organisiert, wollte ihn schon bald zu uns rüberholen, da wurde er von der Polizei in Westminster verhaftet, wegen Trunkenheit am Steuer. Wir schnappten ihn uns, bevor die Russen an ihn rankamen – die hätten ihn mit Sicherheit getötet. Jedenfalls ist er zu uns übergelaufen, zusammen mit seiner Sekretärin, seiner Geliebten. Er war ein KGB -Mann, zuständig für Sabotage. Ne kleine Nummer, eher eine Art Gangster, aber unbezahlbar. Hat unsere schlimmsten Alpträume bestätigt: Wir hatten Dutzende von sowjetischen Agenten hier im Land, die unter dem Schutz der diplomatischen Immunität operierten. Wir haben dann hundertfünf von ihnen ausgewiesen – Heath hat das übrigens großartig gedeichselt, egal was man heute über ihn sagt. Die Moskauer Zentrale war offenbar vollkommen überrascht. Wir haben nicht mal den Amerikanern vorher davon erzählt, und das führte zu einem Krach, der bis heute noch nicht ganz beigelegt ist. Aber entscheidend [240] war das Ergebnis: Wir wussten, dass wir nun keinen Maulwurf mehr hatten, zumindest an keiner wichtigen Stelle. Keinen seit George Blake. Großes Aufatmen allenthalben.
    Wahrscheinlich werden wir mit Lyalin bis ans Ende seines Lebens Gespräche

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