Honig
würde er nie mehr an Edmund Spensers Fairie Queene denken müssen. Die Honig-Märchenfee hatte Tom aus der akademischen Tretmühle befreit.
Jetzt waren wir also endlich im Haus, in meinem vier mal vier Meter großen möblierten Zimmer, Tom auf meinem Flohmarktsessel und ich auf der Bettkante. Erst mal noch ein Weilchen weiterreden. Wenn meine Mitbewohnerinnen unsere Stimmen hörten, würden sie bald das Interesse verlieren. Und Gesprächsthemen hatten wir reichlich, denn im Zimmer, auf dem Fußboden und auf der Kommode, [266] stapelten sich zweihundertfünfzig Stichwörter in Form von Taschenbüchern. Endlich sah er mit eigenen Augen, dass ich eine Leseratte war und nicht bloß irgendein hirnloses junges Ding, das sich nichts aus Gedichten machte. Zur Entspannung, zur dezenten Annäherung an das Bett, auf dem ich saß, plauderten wir zwanglos über Literatur, ohne unbedingt recht behalten zu wollen, wenn wir, was häufig geschah, verschiedener Meinung waren. Die Schriftstellerinnen, an denen mir etwas lag, ließ er links liegen – seine Hand strich achtlos an meinen Byatts und Drabbles vorbei, an Monica Dickens und Elizabeth Bowen, all diesen Romanen, in denen ich mich so wohl gefühlt hatte. Dagegen hielt er bei Muriel Spark inne und lobte ihren Roman Töte mich!. Ich sagte, mir sei der zu schematisch, Die Blütezeit der Miss Jean Brodie gefalle mir besser. Er nickte, aber nicht zustimmend, wie mir schien, eher wie ein Therapeut, der jetzt meinem Problem auf die Spur gekommen war. Ohne vom Sessel aufzustehen, reckte er sich nach vorn, zog Der Magus von John Fowles heraus und sagte, das sei stellenweise ganz großartig, wenn auch nicht durchgängig wie Der Sammler und Die Geliebte des französischen Leutnants. Ich sagte, ich möge solche literarischen Kniffe nicht, ich möge Bücher, in denen das Leben, so wie ich es kenne, beschrieben werde. Er sagte, ohne literarische Kniffe lasse sich das Leben gar nicht beschreiben. Er erhob sich, ging zur Kommode und nahm B. S. Johnsons Albert Angelo zur Hand, das Buch mit den Löchern in den Seiten. Auch das gefalle ihm sehr, sagte er. Ich sagte, ich fände es abscheulich. Verblüfft erspähte er Alan Burns’ Celebrations – bei weitem der beste experimentelle Autor des Landes, lautete sein [267] Urteil. Ich sagte, damit hätte ich noch nicht angefangen. Er bemerkte eine Handvoll Bücher, die bei John Calder erschienen waren. Der beste Verlag überhaupt derzeit. Ich ging zu ihm rüber und gestand, ich sei bei keinem weiter als zwanzig Seiten gekommen. Und so schrecklich gedruckt! Darauf fragte er, was ich von J. G. Ballard halte – er wies auf die drei Bücher, die ich von ihm hatte. Unerträglich, sagte ich, zu apokalyptisch. Er liebte jedes Wort von Ballard. Das sei ein kühner, funkelnder Geist. Wir lachten. Tom versprach, mir ein Gedicht von Kingsley Amis vorzulesen, A Bookshop Idyll, in dem es um die ungleichen Vorlieben von Männern und Frauen gehe. Zum Schluss werde es etwas schmalzig, sagte er, aber es sei komisch und wahr. Ich sagte, wahrscheinlich werde es mir nicht gefallen, bis auf den Schluss. Er küsste mich, und damit war die literarische Diskussion beendet. Wir gingen zum Bett.
Es war peinlich. Wir hatten stundenlang geredet und so getan, als dächten wir nicht unablässig an diesen Augenblick. Wir waren wie Brieffreunde, die erst geschwätzige, dann vertrauliche Briefe in ihrer jeweiligen Sprache austauschen, sich dann zum ersten Mal begegnen und erkennen, dass sie noch einmal von vorne anfangen müssen. Seine Art war mir neu. Ich saß wieder auf der Bettkante. Nach einem einzigen Kuss und ohne weitere Zärtlichkeiten beugte er sich über mich und begann mich auszuziehen, energisch und routiniert, als mache er ein Kind fürs Bett zurecht. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er dabei vor sich hin gesummt hätte. Unter anderen Umständen, wenn wir uns schon besser gekannt hätten, wäre das als Rollenspiel vielleicht reizvoll gewesen. Aber jetzt geschah es schweigend. [268] Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, mir war nicht wohl dabei. Als er mir über die Schultern griff, um meinen BH aufzuhaken, hätte ich Tom berühren können und war auch kurz davor, ließ es dann aber. Er schob mich sanft nach hinten aufs Bett, wobei er mir den Kopf stützte, und zog mir dann den Slip aus. Nichts davon war für mich in irgendeiner Weise prickelnd. Es wurde mir zu viel. Ich musste eingreifen.
Ich sprang auf und sagte: »Jetzt du.« Gehorsam tauschte er mit
Weitere Kostenlose Bücher