Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
Vom Netzwerk:
drin ist die nächste Runde fällig. Kommt gut ins Tal, ihr zwei. Vielleicht verschlägt’s euch mal wieder auf den Falkenstein.«
     
    Den Abstieg nach Zwiesler Waldhaus brachten Fanni und Sprudel nahezu stumm hinter sich. Nebel war wieder eingefallen, benässte die Trittsteine und warf ein diffuses Licht auf den Weg.
    Fanni dachte an Bergwacht-Rudi, seine Blondinenwitze, den lüsternen Ausdruck in seinen Augen und fragte sich, ob Männer wie er – und es gab eine Menge von der Sorte – nicht ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Schwellkörper hatten.
    Dieses Organ, sinnierte Fanni, spukt ständig in ihren Köpfen, verfolgt sie wie Waschzwang oder Hypochondrie. Doch niemand scheint das merkwürdig zu finden. Würde ich beispielsweise, sagte sich Fanni, ständig Witze über Ohrläppchen reißen, Ohrläppchenvergleiche anstellen, quasi eine Ohrläppchenneurose entwickeln, dann fände ich mich über kurz oder lang in der Psychiatrie wieder. Anankasten wie Bergwacht-Rudi dagegen bringen es durch ihre Neurose zum Platzhirsch, beinah jedenfalls.
    Fanni musste grinsen, weil ihr einfiel, was Leni dazu sagen würde: »Das haben wir der Evolution zu verdanken, Mama, die sich ausschließlich am potenten Fortpflanzungsorgan entlanghangelt.«
    So ist es, dachte Fanni, während sie und Sprudel die Höllbachhütte passierten, nicht Männer wie Newton und Einstein sichern das Anwachsen der Menschheit, sondern solche wie Dschingis Khan und Konsorten.
    Fanni unterbrach ihren Gedankengang, weil Sprudel an der Höllbachschwelle stehen blieb. Sie lehnte sich ganz leicht an seine Schulter, und nah beisammen blickten sie eine Weile auf ihr gewelltes Spiegelbild im dunklen Wasser.
    »Rudi ist, so scheint es mir, nicht besonders gut auf Annabel zu sprechen gewesen«, sagte Fanni.
    Sprudel schürzte die Lippen. »Sie hat es ihm ja auch nicht leicht gemacht. Ließ ihn ein ums andere Mal abblitzen und zeigte zweifellos ganz offen, dass sie ihn für einen ausgemachten Trottel hielt.«
    »Ob ihn solche Unverfrorenheit wohl dazu treiben konnte, gewalttätig zu werden?«, überlegte Fanni laut.
    Sprudel wiegte den Kopf. »Wenn er sich genügend provoziert fühlte, vielleicht.«
    »Eine Szene, die man sich gut vorstellen kann«, sagte Fanni. »Annabel geht an die frische Luft, weil sie Kopfschmerzen hat, und läuft Rudi über den Weg. Er macht sie wieder mal an, sie reagiert heftig, beleidigt ihn sogar. Er packt sie. Sie will sich befreien und fällt dabei rücklings gegen den Stein.«
    »Rutscht ab und knacks! Hat er den Hergang nicht selbst so beschrieben?«, fragte Sprudel.
    »Falls Rudi kein ausgesprochen gutes Alibi hat«, meinte Fanni, »könnte er durchaus …«
    Sprudel nickte. »Aber er ist wohl nicht der Einzige, dem Annabels Betragen gegen den Strich ging.«
    »Heide?«
    Sprudel nickte. »Annabel hat sie herausgefordert.«
    »In vielerlei Hinsicht«, stimmte ihm Fanni zu.
    Sprudel nahm zum Aufzählen die Finger zu Hilfe. »Annabel leistete sich einen Haufen Freiheiten. So was wie Respekt kannte sie nicht …«
    »Sie hat Heide bei den Hüttengästen die Schau gestohlen«, machte Fanni weiter.
    »Du meinst, Heide wollte mit einer gut zwanzig Jahre jüngeren konkurrieren?«, fragte Sprudel.
    »Ein wenig schon«, entgegnete Fanni, »warum sollte sie sich sonst gar so …«
    »Zurechtmachen«, half Sprudel aus und fügte hinzu: »Das würde ein klassisches Motiv ins Spiel bringen: Eifersucht.«
    »Ein Bilderbuchmotiv«, lächelte Fanni. »Aber Heide kann Annabel nicht getötet haben. Wie hätte sie ihr nach draußen folgen sollen? Sie musste ja die Gäste bedienen.«
    »Nur mal angenommen«, sagte Sprudel, »dass um kurz nach ein Uhr alle Hüttengäste volle Gläser und volle Teller vor sich stehen hatten. Wie lange hätte sich Heide in diesem Fall wohl entfernen können, ohne dass ein Gast rebellisch geworden wäre?«
    »Fünfzehn Minuten höchstens«, riet Fanni.
    »Dreißig im Glücksfall«, meinte Sprudel. »Als vernünftiger Gast haut man ja nicht gleich auf den Tisch, wenn man gerade ausgetrunken hat und einen nicht sofort jemand fragt, ob man noch was möchte.«
    »Eine halbe Stunde hätte genügt«, gab Fanni zu. »Aber mit Heide als Täterin wirkt die Szene ziemlich unglaubwürdig. Sie hätte in ihrem knöchellangen Rock und ihren schicken Sandalen in einem forschen Tempo über die Felsen zum Gipfel laufen und die viel jüngere und bequemer gekleidete Annabel überwältigen müssen. Wie hätte …«
    »Wenn sie wütend genug

Weitere Kostenlose Bücher