Honigmilch
sind wir ihm womöglich längst, bloß gemerkt haben wir es nicht.«
Schweigend aßen sie zu Ende.
Weil Sprudel nun schon eine ganze Woche im Hotel Zur Waldbahn wohnte, servierte ihnen der Chef den Espresso persönlich und sagte schmunzelnd: »Freut mich, dass Sie unser Haus nun doch der Falkenstein-Hütte vorziehen. Meine Frau hat sich richtig Sorgen gemacht, als Sie sich zugunsten eines Matratzenlagers abgemeldet haben.«
»Die Männerkammer hat mir allerdings bedeutend weniger zugesetzt als die Schnapsrunden«, lachte Sprudel.
Der Hotelier nickte. »Soll hübsch feucht zugehen da oben. Dabei dürfte der Max keinen Tropfen Alkohol mehr anrühren. Scheint aber so, als wollte er sich lieber zu Tode saufen, anstatt dem Rat seines Arztes zu folgen. Es wird geredet, dass der Max aus dem letzten Loch pfeift, angeblich hat ihn die Arthritis grob am Wickel, oder ist es die Gicht?«
Sprudel zuckte die Schultern, räumte aber ein: »Max kann kaum laufen, er benützt zwei Krücken, um vom Tresen zum Stammtisch zu humpeln. Aber vielleicht«, fügte er dann an, »bringt ihn ja Doc Haller mit seinen Kräutertinkturen wieder auf die Beine.«
»Der Krautdoktor scheint in der Falkensteinregion recht aktiv zu sein«, sagte der Hotelier.
Stimmt, dachte Fanni, während sie Zucker in ihren Espresso rührte. Und was schließen wir daraus?
Dass er was von seinem Handwerk versteht!
Sprudel hat recht, überlegte Fanni, man sollte wirklich versuchen, Heilkräuter unterscheiden zu lernen und ein bisschen was über ihre Wirkung zu erfahren.
Oho, auf einmal möchte Frau Fanni Expertin für Naturheilkunde werden! Hattest du dir nicht früher mal eingebildet, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Mikrobiologie werden zu können? Das hat ja wohl auch nicht geklappt!
Seufzend trank Fanni einen kleinen Schluck von ihrem Espresso und nahm sich vor, zumindest den Aufdruck auf ihrer Packung Ysoptee noch mal genau durchzulesen.
Sie horchte auf, als sie Annabels Namen hörte.
»Severin Ruckerbauer, Annabels Freund«, sagte der Hotelier soeben, »das ist der Neffe vom Franz, unserem Koch. Unser Franz ist seit Tagen völlig aus dem Häuschen, weil Severin unter Mordverdacht steht. Ich hoffe, die Sache klärt sich bald auf. Franz hat deswegen schon dreimal die Hollandaise versaut.«
»Fürchtet Ihr Koch, dass sein Neffe Annabel umgebracht hat?«, fragte Sprudel.
Der Hotelier schüttelte den Kopf. »Niemand hier glaubt, dass der Bub seiner Annabel was angetan hat. Es heißt zwar, sie hätten sich gestritten, bevor Annabel gestorben ist, aber das bedeutet doch gar nichts. Selbst wenn es – wie manche sagen – dem Severin nicht gepasst hätte, dass die Annabel jedes Wochenende in der Schutzhütte bedient hat, ist das doch kein Grund, sie umzubringen.«
»Es scheint aber, als wäre nach Auffassung der Polizei Severin Ruckerbauer der Einzige, der als Täter infrage kommt«, meinte Sprudel.
»Eben«, sagte der Hotelier darauf, »das macht ja den Franz so fertig.«
»Waren Annabel und Severin schon lange zusammen?«, fragte Sprudel.
»Etliche Jahre«, antwortete der Hotelier. »Sie wollten bald heiraten und ein Geschäft für Kunsthandwerk eröffnen. Dafür haben sie jeden Pfennig gespart, und deswegen hatte auch Annabel diesen Wochenendjob bei Max.«
»Hat Severin auch etwas zur Finanzierung des gemeinsamen Projekts beigetragen?«, fragte Fanni.
Der Hotelier zuckte die Schulten. Im selben Moment rief Franz, der Koch, aus dem Durchgang zur Küche: »Ich mach Feierabend, Chef!«
»Warte, Franz!«, hielt ihn der Hotelier zurück. »Wir reden grad von deinem Neffen, der Herr Sprudel, die Frau Rot und ich. Das Hotel Zur Waldbahn hat nämlich momentan einen pensionierten Kriminalkommissar zu Gast. Setz dich her, dann kannst ihm erklären, warum die Polizei schiefliegt, wenn sie den Severin verdächtigt. Und, Franz, schenk dir ein Glas Wein ein, dann fällt dir’s Reden leichter.«
Einen Augenblick später trat Franz mit einem Halbliterglas Rotwein aus der Küche, setzte sich mit an den Tisch und ließ einen Wortschwall vom Stapel.
Die andere Hälfte der Literflasche muss er schon intus haben, dachte Fanni, nachdem bald reihenweise angefangene Sätze herumgeisterten, weil Franzens Gedankensprünge ständig einen Neubeginn forderten. Fanni konzentrierte sich auf das Substrat.
Annabel und Severin galten als Vorzeigeschüler der Glasfachschule in Zwiesel. Beide hatten bei Erwin Eisch in Frauenau Praktika absolviert und dabei die Aufmerksamkeit
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