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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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drüben«, sie zeigte mit der Zigarette nach Westen, »am Stammtisch das Sagen. An meinem zweiten Arbeitstag hat er mich in den Hintern gezwickt. Ich trug gerade ein volles Halbeglas in jeder Hand, und zwei Sekunden später hatte der Wetterwart keinen trockenen Faden mehr am Leib. Einen Moment lang stand auf der Kippe, ob ich meine Arbeitsstelle behalten würde, dann hat er sich bei mir entschuldigt.«
    »Und wer führt die Herde heutzutage an?«, fragte Sprudel.
    »Vor ein paar Jahren ist die Wetterwarte geschlossen worden, und seitdem gibt’s eigentlich keinen Häuptling mehr«, antwortete Heide. »Das Sagen hat Max. Nur Rudi, der Bergwächter, dreht gern ein bisschen auf. Unseren Rudi müssen wir ab und zu mal zurechtstutzen.«
    »Hat er Annabel nachgestellt?«, fragte Sprudel.
    Heide erstickte fast an einer Rauchschwade. »Nachgestellt!«, hustete sie. »Unser Rudi baggert jeden Rockzipfel an. Max sagt immer, wenn du einem Traktor eine Schürze umbindest, dann rennt der Rudi hinterher.«
    Fanni und Sprudel mussten grinsen.
    Heide drückte die Zigarette aus und sagte dabei: »Die Irina hat dem Rudi mal eins mit dem Handbesen übergezogen.«
    »Irina Svetla?«, fragten Fanni und Sprudel synchron.
    »Die Tote vom Höllbach«, nickte Heide. »Sie konnte ganz schön grob sein.«
    »Irina kehrte also hin und wieder in der Schutzhütte ein«, stellte Sprudel fest.
    »Oft«, sagte Heide. »Manchmal hat sie sogar bei uns übernachtet, je nachdem, zu welcher Schicht sie in der Zwiesler Waldhausalm eingeteilt war.«
    Fanni und Sprudel schauten offenbar derart verdutzt aus, dass sich Heide zu weiteren Erklärungen genötigt sah:
    »Irina hatte kein eigenes Auto, und deshalb ist es für sie sehr umständlich gewesen, von der Waldhausalm nach Bergreichenstein zu kommen, wo ihre Großmutter wohnt, bei der sie aufgewachsen ist. Zu Fuß hätte das vom Gsenget aus über Prásily gut fünf Stunden gedauert, mit Bus und Bahn vermutlich länger.«
    »Heide!«
    »Komme gleich, Max! – Die Irina«, fuhr sie fort, »hatte ein kleines Mansardenzimmer in der Zwiesler Waldhausalm, aber da ist ihr immer recht fad gewesen, deshalb ist sie öfter mal zu uns heraufgekommen. Den Aufstieg über die Steinbachfälle hat die Irina in eineinviertel Stunden geschafft, übers Höllbachgspreng hat sie knappe zwei gebraucht.«
    »Irina und Annabel«, fragte Sprudel, »waren die beiden befreundet?«
    Heide zuckte die Schultern. »Sie sind gut miteinander ausgekommen.« Sie lächelte. »Ziemlich gut sogar. An dem Tag, an dem die Irina mit dem Jonas Böckl aufgekreuzt ist und der auf der Stelle damit angefangen hat, die Annabel anzubalzen, hab ich gedacht, jetzt staubt es. Und was glaubt ihr, ist passiert? Die zwei Mädel haben sich über Jonas lustig gemacht. Ich hab sie miteinander kichern hören, in der Weiberkammer.«
    Fanni schluckte. »Jonas Böckl, der Jäger?«
    »Jäger ist er, ja«, antwortete Heide. »Die Irina hat ihn schleunigst abserviert. Und die Annabel hat ihn gar nicht erst auf Touren kommen lassen. Die war gewieft, die Annabel. Der hat keiner lang ein X für ein U vormachen können. Aber dass man als Mädel mit diesem Böckl-Jäger lieber nichts anfängt, kann eigentlich jeder sehen, der sie noch alle beieinander hat. Der Böckl hat ja schier den Rudi in den Schatten gestellt.«
    Hat sie Leni noch alle beieinander?
    Fanni fühlte sich plötzlich ein wenig schwindelig.
    Heide wandte sich dem Eingang zu, aber Sprudels Stimme hielt sie zurück. »Bitte, Heide, mir geht da noch eine Frage im Kopf um, die nur Sie mir beantworten können.«
    Heide drehte sich zu ihm um.
    »Vergangenen Sonntag, als Annabel starb«, begann Sprudel, »haben Sie doch mit ihr zusammen mittags die Hüttengäste bedient. Da muss es Ihnen ja sofort aufgefallen sein, als die Annabel plötzlich verschwunden ist.«
    Heide zuckte die Schultern. »Das Mädel hat sich von Zeit zu Zeit ganz schön was rausgenommen. Einmal hat sie in der Weiberkammer in aller Ruhe ein Kreuzworträtsel gelöst, obwohl die Gaststube gerammelt voll war. So falsch ist es nicht, wenn der Rudi sagt, sie war ein Satansbraten.«
    »Haben Sie nach ihr gesucht?«, fragte Sprudel.
    Heide zog ein Gesicht. »Ich habe ihre Tische mitbedient, wie hätte ich da noch nach ihr suchen sollen? Allerdings – an dem Sonntag habe ich gedacht, sie hätte sich hingelegt. Es ging ihr doch nicht so gut. Sie hatte ja – na ja, wir dachten Grippe.«
    »Heide!«
    »Komme!«
    Sie trat endgültig durch die Tür. »Da

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