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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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würde, morgen wieder zur Arbeit zu gehen. Der Wagen ist allerdings hin. Man hat mich bewusstlos herausgezogen, aber nur wegen der Beule da.« Er schob ein Büschel Haare weg und tippte sich rechts an die Stirn, wo ihm ein bläulich gefärbtes Horn gewachsen war.
    Hans Rot klopfte ihm auf die Schulter. »Was genau ist denn passiert?«
    Bernhard hob beide Hände in einer hilflosen Geste. »Ich war in Fürth bei einem Treffen ehemaliger Mitschüler. Am Nachmittag nach dem Kaffee hab ich mich auf den Heimweg gemacht.« Er fuhr sich tastend über die Beule. »Auf der Landstraße kommt mir ein Fiat Panda entgegen, dahinter fährt ein dunkelblauer Audi. Gerade als ich auf gleicher Höhe mit dem Panda bin, schert der Audi aus. Ich zieh aufs Bankett rüber – und da überschlägt es mich.«
    »Ich konnte doch nicht wissen …«, ertönte Veras Stimme von der Tür her.
    »Natürlich konntest du das nicht«, sagte Fanni beschwichtigend. »Sind die Kinder noch wach?«
    Vera nickte. »Sie wollen aus Asterix vorgelesen kriegen.«
    Fanni ging nach oben.
    Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, fand sie nur Leni vor, die Legoklötzchen aufsammelte.
    »Sie sind zum Schrottplatz gefahren«, sagte Leni, »das Wrack besichtigen. Bernhard kennt den Besitzer, der lässt sie durchs Gatter und macht das Flutlicht an.«
    Fanni nutzte die Abwesenheit der uneingeweihten Familienmitglieder, um Sprudel anzurufen.
     
    Am Montagmorgen gegen acht bereitete Fanni für die ganze Familie – außer Bernhard – Frühstück zu. Veras Mann war bereits in seine Sparkassenfiliale unterwegs. Die Rots selbst wollten sich spätestens um zehn Uhr wieder auf die Heimreise machen.
    Als Fanni die Flocken fürs Müsli einweichte, kam Minna in die Küche und verkündete, Max sei nicht in seinem Bett.
    »Der hat sich sicher zu Tante Leni unter die Decke gemogelt«, lächelte Fanni.
    Minna schüttelte ernst den Kopf. »Leni ist duschen.«
    »Dann ist Max bei Mama«, sagte Fanni.
    Wieder ein Kopfschütteln. »Mami ist auf dem Klo. Und Papa hat schon Tschüss zu mir gesagt.«
    »Na«, fragte Fanni, »wo könnte Max denn sein? Bei Opa?«
    Neuerliches Kopfschütteln samt der kryptischen Antwort: »Wenn Max nirgends ist, dann hockt er in seiner Höhle.«
    Fanni kapitulierte und schnitt Apfelschnitze fürs Müsli.
    Max tauchte zum Frühstück nicht auf.
    Um zehn beorderte Vera ihren Mann aus der Sparkasse nach Hause. Um elf alarmierte Bernhard die Polizei.
    Wenn sich Max in einem der Vorgärten versteckt hätte, dachte Fanni, dann wäre er längst entdeckt worden. Denn in Klein Rohrheim tratschen sogar die Grashalme, die Zaunlatten – und die Regenwürmer sowieso.
    Bissigkeit war schon immer Fannis Art gewesen, ihre Sorgen zu bemänteln.
    Max war nun seit vier Stunden abgängig. Länger, falls er schon bei Nacht …
    »Wo ist denn Mäxchens Höhle?«, sagte Fanni zu Minna.
    »Bei Erwin.«
    Fanni schluckte. »Und wo wohnt Erwin?«
    »Vor dem fürcht ich mich.«
    Fanni wurde übel.
    »Kinderphantasien!«, rief Hans Rot und stürmte auf die Haustür zu. »Ich gehe die Gässchen um die Sparkasse ab. Vielleicht ist Max losmarschiert, weil er seinen Papa in der Bank besuchen wollte, und hat sich verirrt.«
    Dann wäre er um halb neun wieder nach Hause gekommen, dachte Fanni. An der Hand der Bäckerin, die ihren Laden neben der Sparkasse hat, oder auf den Schultern vom Apotheker.
    Sie eilte auf die Straße hinaus und fand einen Polizisten im Gespräch mit einer Passantin. Als Fanni herankam, ging die Frau weiter.
    Fanni fragte den Polizeibeamten, ob jemand in Klein Rohrheim auf die eine oder andere Weise von sich reden gemacht hatte. Daraufhin bekam sie den Dorftratsch eines halben Jahrzehnts zu hören. Fanni schaute die Straße hinauf und hinunter, nahm die Fenster der umliegenden Häuser ins Visier und fragte sich, ob Max hinter einem von ihnen gefangen gehalten wurde.
    Plötzlich stand Leni neben ihr.
    »Was, wenn Max überhaupt nicht fort ist?«, sagte sie. »Ich finde es irgendwie komisch, dass ihn überhaupt niemand gesehen hat. Hier, mitten im Dorf, wo kein Furz ungehört verhallt.«
    Fanni musste grinsen.
    Der Polizeibeamte sah Leni aufgebracht an. »Und wo bitte, meine Dame, soll sich Max seit Stunden befinden?«, fragte er streng.
    Leni zuckte die Schultern. »Natürlich haben wir zuerst im Haus nach ihm gesucht«, gab sie zu. »Aber vielleicht nicht gründlich genug. Womöglich hat er sich in irgendeinem Schlupfwinkel verkrochen und ist wieder eingeschlafen.

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