Honigmilch
vorgeschoben ist.«
Das gab Sprudel zu denken.
»Lass uns zu Abend essen«, schlug Fanni vor, »Hunger schwächt den Verstand.«
Sprudel nickte und wandte sich zur Tür.
Bevor Fanni ihm folgte, nahm sie das Büchlein mit den gepressten Pflanzen an sich. »Wir sollten das nachprüfen«, sagte sie, »vielleicht besitzt der Hotelchef ein Pflanzenlexikon, das wir uns kurz ausleihen dürfen.«
Der Hotelchef kam persönlich an den Tisch, um ihre Bestellung aufzunehmen. Er empfahl seinen Gästen den Krustenbraten, der – wie er betonte – heute besonders resch und knusprig sei. Fanni und Sprudel entschieden sich beide für seinen Vorschlag und ließen sich auch bei der Auswahl des passenden Rotweins von ihm beraten.
Nachdem der Wein eingeschenkt, probiert und gewürdigt war, fragte Fanni nach einem Pflanzenlexikon. Der Hotelchef schüttelte bedauernd den Kopf.
»Wir wollten nachprüfen«, erklärte Sprudel, »ob ich meine gesammelten Kräuter richtig beschriftet habe. Frau Rot zweifelt daran.«
Der Hotelchef schmunzelte. »Ach, dazu müssen Sie nicht in einem Lexikon nachschlagen. Wenden Sie sich doch an Frau Mader, die an dem Tisch in der Ecke sitzt. Sie unterrichtet in der Realschule Biologie und kennt sich sehr gut mit Pflanzen aus. Kommen Sie, ich mache Sie mit ihr bekannt.«
Frau Mader lächelte freundlich und stimmte bereitwillig zu, sich Sprudels gepresste Pflanzen anzusehen. Sie schlug das Büchlein auf, und ihr Lächeln erstarb.
Wäre Sprudel einer ihrer Schüler, dachte Fanni, dann würde sie ihm jetzt einen Verweis erteilen, Verweis plus Arrest.
Frau Mader hatte das Büchlein schon wieder zugeklappt. Sie reichte es schweigend an Sprudel zurück und sah ihn erbost an.
»Oh«, machte Sprudel und schluckte.
»Tut mir leid«, mischte sich Fanni ein, »wir hatten selbst den Verdacht, dass uns jemand einen Bären aufbinden will. Ich glaube, das haben Sie uns soeben bestätigt.«
»Gänseblümchen«, knurrte Frau Mader, »wollen Sie mir weismachen, dass Sie es nicht erkannt haben? Sind Sie auf dem Mars aufgewachsen, oder wollen Sie sich einen dummen Scherz mit mir erlauben?«
»Eben weil ich es erkannt habe, genauso wie die Taubnessel und die Schafgarbe weiter hinten, die als Beifuß deklariert ist, wollte ich nachprüfen, ob ich recht habe.«
»Sie haben recht«, betonte Frau Mader. »Wieso kamen Ihnen Zweifel?«
Fanni warf Sprudel einen fragenden Blick zu, und er beeilte sich zu antworten: »Der Herr, mit dem zusammen ich die Pflanzen gesammelt habe und der mir ihre Namen und Wirkungsweisen erklärt hat, ist ein Fachmann auf dem Gebiet, ein Doktor der Biologie.«
Frau Mader schüttelte den Kopf. »Er hat Sie zum Narren gehalten. Es sieht fast so aus, als wollte er prüfen, wie viel Unsinn Sie sich einreden lassen würden. Das Ergebnis heißt: Jeden!«
Fanni fand, das reichte jetzt. Sie und Sprudel wurden hier abgekanzelt wie verstockte Schüler. Sie nahm das Büchlein, bedankte sich bei Frau Mader ausdrücklich für die Lektion und trat den Rückzug an.
Sprudel dankte ebenfalls und wollte Fanni folgen, da sagte Frau Mader noch: »Schmeißen Sie das Ding da schleunigst weg. Die Pflanzen werden sowieso schimmeln und faulen. So konserviert man nicht!«
Sprudel nickte und trat ab. Als er an den Tisch zurückkehrte, reichte ihm Fanni sein gefülltes Weinglas.
»Warum?«, fragte Sprudel, nachdem er einen trostreichen Schluck genommen hatte.
»Verbittert, übellaunig, unzufrieden«, bot Fanni an.
»Der Doc?«
»Frau Mader.«
Das hübsche Mädchen im Dirndlkleid brachte den Krustenbraten.
Fanni starrte nachdenklich in ihren Espresso.
»Warum also?«, fragte Sprudel.
Fanni sah ihn an. »Mir geht Frau Maders Antwort darauf nicht aus dem Kopf: Doc Haller wollte ausprobieren, wie weit er gehen kann.«
Sprudel zuckte die Schultern. »Natürlich denkt Frau Mader so. Sie kennt das von ihren Schülern – Schwachstelle entdecken, Kumpel hereinlegen. Meinst du, Doc Haller würde derart hinterhältig handeln?«
»Kommt drauf an«, sagte Fanni.
»Worauf?«
»Darauf, ob Doc Haller ein Wolpertinger ist.«
Sprudel stöhnte.
»Woraus besteht ein Wolpertinger?«, sagte Fanni. »Aus Teilen anderer Geschöpfe, wie wir wissen. Einem Wolpertinger werden Entenflügel nachgesagt, was nicht heißt, dass er fliegen kann. Er wird mit Schwimmflossen abgebildet, schwimmen kann er aber nicht.«
Sprudel stöhnte lauter. »Fanni, könntest du nicht einfach klipp und klar sagen, worauf du
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