Honigmilch
standen. Die Spüle glänzte, die Glasbehälter spiegelten Fannis Nase.
Unser Doc hat wohl schon länger keine Ringelblumensalbe mehr hergestellt, sagte sie sich.
Sie ging an der Anrichte entlang, die nicht mal einen Wasserfleck aufwies, und blieb vor zwei seltsam anmutenden Kühlschränken stehen, die eine gesamte Ecke des Raumes einnahmen.
Sie ließen sich nicht öffnen.
Fanni probierte erfolglos den zweiten Schlüssel aus dem Sicherungskasten.
Genug, genug, genug, du verduftest jetzt!
Gut, stimmte Fanni diesem drängenden Rat zu. Es ist wirklich am klügsten, schleunigst Leine zu ziehen.
Am allerklügsten aber wäre es, fand Fanni, Sprudel zu verheimlichen, was sie an diesem Vormittag getrieben hatte.
Ich könnte, überlegte sie, noch schnell im Glaskunsthaus Annabels Vase kaufen und so tun, als hätte ich die ganze Zeit in dem Geschäft zugebracht.
Aber zuerst raus hier.
Fanni setzte sich in Bewegung.
Als sie an dem abgewetzten Schreibtisch in der Lichtschneise unter einem der Kellerschächte vorbeiging, zögerte sie wieder.
Nur ein ganz kurzer Blick, verteidigte sie sich und zog die Schublade auf. Der Schlüssel zum Öffnen der Kühlschränke kann ja letztendlich nicht weit sein.
Im Schubladenfach lag er nicht. Sie wollte es eben wieder schließen, da fiel ihr Augenmerk auf eine Liste mit Namen. Der zweite von oben lautete »Annabel Scheichenzuber«.
Fanni setzte sich an den Schreibtisch, nahm den Papierbogen aus der Schublade und studierte die Namen. Zehn davon schienen ihr unbekannt, die restlichen waren ihr geläufig: Annabel Scheichenzuber, Heide Schuster, Severin Ruckerbauer, Max Buchinger, Rudi … Außer den Namen stand nichts auf dem Blatt. Sie durchforstete die Schublade und fand zwischen unleserlichen Notizen eine zweite Namensliste. Sie deckte sich mit der ersten, wies aber oben rechts einen roten Kringel auf. Fanni legte beide Blätter nebeneinander, und da erst bemerkte sie, dass vor jeden Namen ein Strichmuster gezeichnet war.
Ein Code, dachte Fanni.
Wo willst du die nächsten Jahre verbringen, Fanni? Im Gefängnis oder im Irrenhaus?
Man müsste vielleicht doch in Erfahrung bringen, grübelte Fanni, was Doc Haller in diesen Kühlschränken eingeschlossen hat.
Einen Wolpertinger?
Fanni stand auf. Sie würde dem Schlüssel schon auf die Spur kommen, und dann konnte sie nachschauen, was die Kühlschränke verbargen. Sie würde Doc Hallers Geheimnisse lüften.
Stattdessen hörte sie vor dem Haus einen Wagen halten.
Frau Haller kommt!
Dann müsste sie einen eigenen Wagen haben. Mit einem ist ja der Doc unterwegs.
Wer dann?
Der Postbote vielleicht, der Stromableser, ein Versicherungsvertreter. Das Auto wird sicher gleich wieder abfahren.
Sicher?
Es blieb da, und Fanni hörte erschrocken, wie die Haustür aufgeschlossen wurde. Sie lief zu der Fensterluke unter dem Kellerschacht, öffnete sie, beugte sich hinaus und spähte nach oben, wo sie einen roten Kotflügel ausmachte.
Doc Hallers alter Opel besaß vier von diesen tomatenroten Kotflügeln.
Raus hier!
Fanni wurde flau. Sämtliche Fluchtwege – der einfachste führte durch die Haustür – verliefen durchs Erdgeschoss. Doch dort stiefelte inzwischen Doc Haller herum. Fanni hörte seine Schritte. Wieso war er eigentlich schon zurück? Bis Mittag fehlte noch eine gute halbe Stunde.
Spielt das jetzt eine Rolle?
Fanni schüttelte den Kopf und entschied, im Keller abzuwarten, bis sich eine Chance zum Entkommen bot.
Könnte Tage dauern!
Vielleicht holt er nur was und fährt gleich wieder weg.
Träum weiter!
Fanni schlich in den Gang, hängte die Schlüssel zurück in den Sicherungskasten und löschte das Licht.
Sie hatte die Wahl: Heizraum, Waschküche, Laborraum, Treppe.
Du könntest dich in der Waschküche hinter Frau Hallers Schlüpfern verbergen.
Fanni machte eine schnelle Bewegung auf die Waschküche zu und zuckte zusammen, weil plötzlich Wasser durch ein Rohr an der Wand rauschte. Eine Sekunde später begann der Brenner im Heizraum zu zischen und zu röhren.
Fanni erstarrte.
Die Schritte oben im Flur waren verklungen.
Fanni lauschte.
Da hörte sie ein Tapsen auf der Treppe.
Fanni floh zurück in den Laborraum und drückte die Tür hinter sich ins Schloss.
Was, wenn er hier hereinkommt?
Man müsste ihn irgendwie dazu bringen, wieder hinaufzugehen. Aber vielleicht macht er das sowieso. Falls nämlich der Brenner soeben seinen Geist aufgegeben hat, muss er einen Handwerker anrufen.
Und wenn nicht?
Man
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