Honigmilch
könnte ihn anrufen, dann würde er …
Nummer?
Fanni wusste Doc Hallers Telefonnummer natürlich nicht. Aber eine andere kannte sie auswendig – die von Sprudel.
Anrufen! Herbeordern! Sprudel kann den Doc ablenken, bis du draußen bist!
Fanni riss den Reißverschluss an der Innentasche ihrer Jacke auf und zog das Handy heraus. Sie wollte eben Sprudels Nummer eintippen, da merkte sie, dass das Display dunkel war.
Ausgeschaltet!
Fanni presste den Daumen auf das winzige Knöpfchen an der Schmalseite.
Pincode!
Ich …
Dann denk nach!
Fanni dachte angestrengt über den Pincode nach. Sie hatte ihn doch erst heute Morgen … Oder war das schon gestern gewesen?
Das Display zeigte vier Leerstellen an. Vier Zahlen, vier Zahlen, vier Zahlen.
Ein Geburtsdatum!
15.3.50.
Das sind fünf!
Ja, und mein eigenes Geburtsdatum kommt sowieso nicht infrage.
Leni und Leo!
Entschieden tippte Fanni 3-5-75 ein.
Das Display reagierte mit einem lässigen »ok« und tischte ihr im Gegenzug zum Geburtsdatum der Zwillinge die Uhrzeit auf: »12:00.«
Fanni wollte eben Sprudels Handy anwählen, als sie hörte, wie der Schlüssel ins Türschloss geschoben wurde.
Deckung!
Der Raum bot nicht den kleinsten Schlupfwinkel.
Der Schlüssel wurde wieder herausgezogen.
Fannis Blick fiel auf die Luke unter dem Kellerschacht.
Der Schlüssel fuhr von Neuem ins Schloss.
Fanni riss die Fensterluke auf, sprang in den Stütz, schob den Oberkörper durch die Öffnung und strampelte mit den Beinen hinterher. Als sie in den Schacht krabbelte, spürte sie nasse Blätter, Erdbrocken und Kieselsteine unter ihren Händen. Sie drehte sich um, griff zurück und zog das Fensterchen zu.
Ein kleiner Spalt blieb störrisch offen.
Fanni sah noch, wie sich die Labortür öffnete, dann drängte sie sich tief in eine Ecke des Schachtes, wo Efeu rankte, der von draußen seinen Weg hierher gefunden hatte. Sie drapierte das Geschlinge so gut es ging vor Gesicht und Körper. Eine fette Spinne schoss unter einem Blatt hervor, raste über ihren Arm, über Handrücken und Finger und fiel auf ihren Schuh.
Fanni biss auf ihre ohnehin schon zerkaute Unterlippe. Sehnsuchtsvoll dachte sie an Leni, an Leo, an Sprudel, an Max und Minna und Vera, sogar an Hans Rot, und sie versprach ihnen allen, sich nie wieder so in die Bredouille zu bringen, falls sie ungeschoren hier herauskam.
Doc Haller rumorte im Labor. Plötzlich ging Fanni auf, warum er früher als geplant zurückgekommen war: Es hatte angefangen zu regnen. Dicke Tropfen platschen durch das Gitter, das den Schacht abdeckte.
Fanni schob vorsichtig die Efeuranke vor ihren Augen beiseite und riskierte einen Blick durch die Luke in den Raum. Ein Kühlschrank stand offen, Doc Haller hantierte mit Petrischalen, wie sie zur Anzüchtung von Bakterien verwendet werden. Eine davon trug er zu der Anrichte neben der Spüle, wo ihn Fanni nicht mehr sehen konnte.
Und er kann dich von dort aus nicht sehen!
Fanni rührte sich nicht. Eine zweite Spinne, schlanker als die erste, aber dafür mit haarigen Beinen, erschien in ihrem Blickfeld und steuerte auf ihr Knie zu. Das brachte Fanni in Bewegung. Sie richtete sich auf, bis ihr Kopf an das Gitter über dem Kellerschacht stieß. Die Spinne krabbelte auf ihren Fuß. Fanni hob die Arme, krallte die Finger um scharfkantiges Metall und drückte nach oben. Das Ding saß fest. Fanni ließ die Arme wieder sinken.
Vielleicht von Schmutz und Wurzeln einzementiert. Versuch es noch mal – aber kräftig!
Gehorsam hob Fanni die Arme, atmete tief durch und drückte mit aller Kraft. Eine Ecke des Gitters löste sich mit einem Schmatzlaut. Fanni biss die Zähne zusammen und schob nach, bis sich eine weitere Ecke löste.
Dann musste sie verschnaufen.
Rütteln, damit es sich weiter lockert!
Fanni begann, die lose Seite des Gitters auf und ab zu bewegen.
Langsam und vorsichtig. Mach bloß keinen Krach!
Nach einer Weile merkte sie, dass sich der Gitterrost nun auch horizontal verrücken ließ. Sie schob, und da tat sich über ihrem Kopf eine dreieckige Öffnung auf, gerade groß genug für sie.
Fanni warf einen letzten Blick ins Labor. Doc Haller war nirgends zu sehen, was vermuten ließ, dass er immer noch bei der Spüle stand. Sie hoffte inständig, er würde dort bleiben, packte mit beiden Händen den oberen Rand des Kellerschachtes und zog sich hinauf, wobei sie sich mit den Füßen an der Wand abstützte. Nachdem ihr Oberkörper weit genug draußen war, warf sie sich platt auf
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