Honigsüßer Tod
charismatischer Mann – das muss man ihm
lassen«, räumte der Pfarrer ein und fasste sich an die Nasenwurzel. Er war
wirklich müde.
»Lucidus war sogar einmal bei mir, weil er der Meinung war, seine
Glaubensbrüder und er würden von uns verfolgt.«
»Stimmte das denn?«, fragte Riesle.
»Natürlich nicht«, meinte der Pfarrer. »Ein- oder zweimal haben wohl
jugendliche Randalierer an dem Imkerhäuschen herumgeschmiert oder es sogar
beschädigt. Es liegt ja außerhalb der Mauern des Sonnenhofs. Und wir als
Kirchengemeinde hatten vor einigen Monaten eine Veranstaltung mit dem
Sektenbeauftragten über die ›Kinder der Sonne‹. Da waren übrigens nicht nur
viele aus dem Dorf, sondern erstmals auch fast alle von der Sekte im Publikum.«
»Wie viele sind das denn?«
»Gut 40 hier auf dem Sonnenhof, glaube
ich«, sagte der Pfarrer. »Es gibt aber verschiedene Dependancen – drei oder
vier auf der ganzen Welt.«
»Was wissen Sie über Mellitus?«, fragte Riesle weiter. Das Ganze
entwickelte sich jetzt fast zu einem Interview mit dem Pfarrer. Die anderen
schwiegen. Der Wirt tendierte immer offensichtlicher zum Feierabend.
»Mellitus galt als eines der eher moderaten Sektenmitglieder«, sagte
der Pfarrer. »Und als eines der führenden …«
»Und wer könnte ihn umgebracht haben?«
»Na, einer vo’ dene Heinis«, mischte sich der Maler wieder ein.
»Warum?«, fragte Riesle.
»Ja, wer denn sonscht?«
»Ein Mobilfunk-Fan, der endlich Handy-Empfang haben wollte.
Vielleicht jemand aus dem Dorf«, provozierte Riesle.
Außer heftigem Widerspruch und dem einen oder anderen Fluch erntete
er damit aber nichts.
Die Runde löste sich nun rasch auf, weshalb der Journalist schnell
zu dem anderen Tisch hinüberging. Er stellte sich den Mobilfunk-Skeptikern vor.
»Haben Sie auch schon von dem Mord in der Sekte gehört?«
Die drei Männer nickten. »Schlimm«, sagte der Lehrer.
»Wie stehen denn Sie zu den ›Kindern der Sonne‹?«, forschte Riesle
nach.
Wieder war der Lehrer der Erste: »Ich bin da tolerant«, meinte er.
»Tolerant?«, widersprach Bauer Brändle. »Mer darf nit immer allem
gegenüber tolerant sei’. Denket Sie nu’ an diese Mobilfunk-Mafia!«
Riesle wurde klar, dass das Trio eine reine Zweckgemeinschaft gegen
den drohenden Masten war.
»Wir sind hier schon tolerant, aber das ist kein Grund, alles
hinzunehmen«, sagte Dr. Duffner. »Wir wehren uns. Es gibt schließlich
verschiedene Studien, nach denen in der Nähe von Mobilfunkmasten die Zahl der
Tumorerkrankungen ansteigt. Das Risiko ist viel zu groß, zumal die
Langzeitwirkungen noch nicht erforscht sind. Als Arzt muss ich meine Patienten
davor schützen.«
»Aber es gibt doch viele andere Studien, die das Gegenteil beweisen«,
sagte Riesle. So weit kannte er sich da schon aus.
»Und wer bezahlt die wohl?«, fragte Dr. Duffner, während seine
beiden Gesinnungsgenossen nickten.
»Waren Sie eigentlich heute als Arzt am Tatort?«, fragte Riesle,
einer spontanen Eingebung folgend.
Duffner nickte.
»Und?«, wollte der Journalist mehr hören, während Hummel allmählich
die Augen zufielen. Seine privaten Probleme verhinderten derzeit einen
entspannten Schlaf. Außerdem war die mit Burgbacher durchzechte Nacht nicht
spurlos an ihm vorübergegangen.
»Ich kann Ihnen nur sagen, dass das Opfer schwere Stichverletzungen
aufwies, an deren Folgen es verblutet ist.«
»Ist der Tod sofort eingetreten?«
»Zumindest relativ rasch.«
»Was glauben Sie: muss der Täter ein Mann sein?«, recherchierte
Riesle weiter. Der Wirt hatte nun alle Gläser sowie Hummels leeren
Wurstsalat-Teller am Stammtisch abgetragen und zeigte demonstrativ auf die Uhr.
Lustlos planschte er anschließend mit einem Wischtuch im großen Spülbecken
herum.
Der Arzt überlegte. »Da müssten Sie wohl den Kriminaltechniker
fragen. Das Mordwerkzeug erscheint mir aber so gefährlich, dass womöglich auch
eine Frau infrage käme. Die müsste aber mit äußerster Wucht zugestochen haben.«
»Waren Sie eigentlich vor der Polizei da?«
Duffner nickte. »Ein paar Minuten.«
»Wie viele Leute gehören eigentlich zu Ihrer Mobilfunk-Initiative?«,
raffte sich nun Hummel zu Riesles Verdruss noch einmal auf.
»Mehr als 20«, gab der Lehrer Auskunft.
»In wenigen Tagen gibt es wieder eine Veranstaltung. Wir müssen aufklären, denn
der offizielle Informationsabend der Gemeinde war eine Farce. Dieser
Mobilfunk-Berater hat mit falschen Karten gespielt.«
»Allerdings«, stimmte
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