Honigsüßer Tod
Bauer Brändle zu.
»Er sollte eigentlich objektiv sein und auch die Sorgen der
Einwohner ernst nehmen. Aber die kümmern ihn nicht wirklich«, meinte auch
Duffner.
»Es würd’ mich nit wundere, wenn er von de’ Mobilfunk-Mafia bezahlt
wär«, sagte Brändle und starrte in sein beinahe leeres Glas.
»Aber die Mehrzahl der Einwohner ist doch für die Anlage, oder?«,
fragte Riesle. Sich gegen ordentlichen Handy-Empfang stellen, das konnten
seiner Meinung nach nur solche Sektenleute, noch im 19. Jahrhundert lebende Bauern, übervorsichtige Ärzte und grüne Lehrer. Eine prima
Mischung.
»Die Leute sind ja auch von diesem sogenannten Experten falsch
informiert worden«, meinte der Lehrer. Und der Bauer fügte hinzu: »Die Wahrheit
isch doch kei’ Frag’, in der mer abstimme kann. Ich kann doch au nit abstimme’,
ob’s de’ Teufel gibt. Der isch Tatsach’ – und danach muss ich mei’ Handle ausrichte’.«
»Ich mach jetzt dicht«, knurrte der Wirt.
»Ich kenne alleine sieben oder acht Menschen, die hochgradig
elektrosensibel sind«, berichtete Dr. Duffner.
Riesle schaute etwas spöttisch. Hummel war wieder in sich
zusammengesunken.
»Dabei handelt es sich übrigens keineswegs um eine psychische
Störung«, wehrte der Arzt ab. »Diese Leute sind verzweifelt auf der Suche nach
einem Funkloch. Und die müssen ja auch irgendwo leben. Schon jetzt gibt’s ja
kaum noch Freiräume.«
»Raus jetzt, die Herre’ – en schöne’ Abend noch.« Das galt dem
Skeptiker-Trio, das sich auch binnen kürzester Zeit klaglos davonmachte.
»Kommen Sie zu unserer Info-Veranstaltung?«, fragte der Lehrer zum
Abschluss.
Riesle nickte und erhielt ein Flugblatt mit Termin und den Parolen,
die sie bereits auf den Schildern entlang den Straßen rund um den Ort gesehen
hatten.
Hummel wünschte kurz, dass der Wirt ihnen vielleicht doch den Zugang
zur Schlafstatt verweigern würde, aber diesen Gefallen tat er ihm nicht.
Und so zählte Hubertus trotz seiner Müdigkeit die halbe Nacht Tiere.
Nicht etwa Schäfchen, sondern die zahlreichen mehr oder weniger großen Insekten
im Zimmer, die er im Lichtschein der vor dem alten Holzfenster stehenden
Laterne herumschwirren sah. Er war sich fast sicher, dass sich außerdem unter
seinem Bett ein Rattenpaar befand.
Riesle schnorchelte derweil auf der anderen Seite des Doppelbetts
seelenruhig dem Tag entgegen.
Hummel dachte immer wieder an Carolin – und noch etwas mehr an Elke.
Würde sie gut schlafen? Und: Würde sie alleine schlafen?
8. Erleuchtung
Als Riesle und Hummel gegen 8 Uhr die »Linde« ohne Frühstück verließen, hatte Hauptkommissar Claas Thomsen
gerade die zweite Audienz bei Lucidus. Diesmal bereits als Leiter der »Soko
Honig«. Denn zu diesem hatte ihn die Chefin der Polizeidirektion
erwartungsgemäß noch in der Nacht bestimmt. Dass Befragungen da eigentlich
nicht zu seinen primären Aufgaben zählten, kümmerte ihn nicht. Thomsen hatte
nur ein gutes Gefühl, wenn er die wichtigsten Vernehmungen selbst durchführte.
Und die gerade anstehende war zweifelsohne eine sehr wichtige. Nun 20 Soko-Kollegen an dem Mordfall kleben zu haben – das
nervte ihn. Jeder der 20 war für ihn eine Art
Konkurrent. Lieber wäre er den Fall ganz alleine angegangen. Mit maximal einem
Kriminaltechniker – zur Untersuchung von Leichen und anderen ekligen Dingen.
Wie Hummel hatte auch Thomsen wenig bis gar nicht geschlafen. Nach
der ersten Befragung des Sektenchefs und der Rückkehr in die Polizeidirektion
war er erst gegen 3 Uhr morgens nach Hause
gekommen, wo er sich endlich seinem Reinigungsritual hatte widmen können. Als
er schließlich erschöpft aus der Dusche gekrochen war, hatte sich bereits die
Sonne am Villinger Morgenhimmel gezeigt. Auch der »Schwarzwälder Kurier« war
schon im Briefkasten gelegen. Er hatte ihn zusammen mit seinen
Clomipramin-Tabletten konsumiert: Antidepressiva, die seine Ängste und Phobien
eindämmen sollten. Bislang leider vergeblich.
Und Winterhalter? Der brauchte schon aus purer Gewohnheit nicht mehr
als vier, fünf Stunden Schlaf. In der vergangenen Nacht waren es allerdings
noch weniger gewesen. Er hatte gemeinsam mit den Kollegen den Tatort weiträumig
nach weiteren Spuren abgesucht – allerdings ohne Ergebnis, wenn man von
weiteren Blutspuren absah.
Bereits um 6 Uhr 30
hatten sie im Rathaus von Großbiberbach eine Einsatzzentrale für die Soko
eingerichtet. Beim Bürgermeister war der nächtliche Anruf zunächst zwar nicht
gerade auf
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