Honigtot (German Edition)
stets auch Konsequenzen nach sich zog. Ursache und Wirkung , so hatte es ihr Vater sie einst gelehrt. Sie hatte es ignoriert, war sich ihrer Macht über Albrecht bisher sicher gewesen – und war eines Besseren belehrt worden.
Was, wenn Albrecht ihr heute sagte, dass er nichts hatte erreichen können? Was konnte sie dann überhaupt tun, fragte sie sich und gab sich die Antwort darauf gleich selbst: Nichts …
Sie hatte kein eigenes Geld, war minderjährig und befand sich in einem fremden Land. Sie war absolut abhängig von Albrecht, das war ihr heute erst richtig zu Bewusstsein gekommen. Die Gewissheit der eigenen Machtlosigkeit schlug heftig über ihr zusammen. Fast wäre Deborah erneut in Tränen ausgebrochen. Sie fühlte sich einsam und allein.
„Du hast nicht auf mich gehört, nicht wahr? Du hast deinem Albrecht wegen der Judentransporte Vorwürfe gemacht“, unterbrach Marlene Deborahs Grübeleien.
Erschrocken fuhr Deborah auf. Es war ihr nicht bewusst gewesen, dass sie bereits eine ganze Weile schweigend nebeneinanderher geschritten waren und Marlene sie in dieser Zeit nachdenklich beobachtet hatte.
Es war sinnlos, das Offensichtliche zu leugnen.
„Ja, es stimmt“, gab Deborah widerstrebend zu.
„Alors, und ihr habt natürlich gestritten.“ Das war keine Frage.
Daher sparte sich Deborah eine Antwort und zog nur eine widerwillige Grimasse, während sie mit der Schuhspitze einige Kiesel vor sich her schubste.
„Und? Wie schlimm ist es?“ Das war eine Frage.
Marlene hatte angehalten und zwang Deborah dadurch, es ihr gleichzutun. Trotzig hob die Jüngere den Kopf und begegnete endlich Marlenes offenem und klarem Blick. Zu ihrer Überraschung fand Deborah keinen Vorwurf à la habe ich dich nicht gewarnt? darin, vielmehr las sie den aufrichtigen Wunsch, zu helfen, in Marlenes Augen.
Eine Biene umsummte sie, angelockt von Marlenes Hutfeder. Ein kurzes Fühlen, dann flog sie weiter, um sich eine richtige Blume zu suchen.
Deborahs Anspannung lockerte sich und wurde von der Erkenntnis abgelöst, in Marlene womöglich eine echte Freundin gefunden zu haben. Vielleicht war sie doch nicht ganz so allein, wie sie angenommen hatte. Ein zögerliches Lächeln breitete sich von ihren Mundwinkeln her aus, als traute sie ihrer eigenen Hoffnung nicht über den Weg.
Marlene erwiderte zwar ihr Lächeln, zog aber gleichzeitig ihre Augenbrauen hoch bis unter ihren Pony, um ihr damit zu signalisieren, dass Deborah ihre Frage bisher nicht beantwortet hatte. Unsicher zuckte Deborah mit den Achseln: „Ich fürchte, das wird sich erst heute Abend herausstellen.“
„Hat er dich geschlagen, Chérie?“ Marlenes Stimme klang kaum weniger neutral, als würde sie sich nach dem Wetter erkundigen, darum empfand Deborah die Frage nicht als aufdringlich. Vielmehr schoss ihr durch den Kopf, ob Marlene selbst Erfahrungen damit hatte? Beinhaltete der Status der Geliebten – neben Pelzen, Kleidern und Schmuck - auch Prügel?
„Nun ja, ich kann nicht sagen, dass er mich geschlagen hat. Aber er ist ziemlich grob geworden. Aber das ist nicht das eigentliche Problem. Ich meine …“ Deborah rang vergeblich nach den richtigen Worten.
„Sondern?“, hakte Marlene vorsichtig nach, als sie keine Anstalten machte, weiterzusprechen.
„Er … er war irgendwie … anders als sonst“, stotterte Deborah weiter. Mit einer hilflosen Geste hob sie die Arme, als versuchte sie, die richtigen Worte direkt aus der Luft zu pflücken.
Marlene schien sie trotzdem verstanden zu haben. Sie nickte auf eine wissende Weise und fragte dann: „Wie alt bist du eigentlich, ma petite?“
„Siebzehn, bald achtzehn, im Juni.“
„Meine Fresse aber auch“, entfuhr es Marlene völlig unfranzösisch und sie wechselte unverhofft ins Berlinerische. „Und ick dachte, du musst mindestens zwanzig, wenn nicht sogar älter sein, Kleene. Alle Achtung, du hältst dich gut, aber das erklärt so einiges. Albrecht ist dein erster Mann, nicht wahr?“ Erneut war es keine Frage, sondern eine Feststellung. Sie fuhr fort: „Ich weiß nicht genau, wie euer Verhältnis ist, aber ich kann es mir vorstellen. Dein Albrecht ist ein einflussreicher Mann, er ist vermögend und gut aussehend und mindestens zwanzig Jahre älter als du. Kein Wunder, dass er dein Interesse geweckt hat. In jeder Beziehung trägt man am Anfang Scheuklappen, Maria, und sieht den anderen so, wie man ihn gerne sehen will. Bis der Tag kommt, an dem man ihn dann so sieht, wie er wirklich ist. Das
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