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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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ihr nicht helfen! Sie ist Jüdin. Willst du mit ihr sterben? Was wird dann aus deinem Bruder?“
    Einzig die Erwähnung ihres Bruders brachte Deborah zur Vernunft. Marlene zog sie unsanft hoch und schleifte Deborah bis zum Florianstor hinter sich her. Erst dann hielt sie inne. Mehrere Spaziergänger beäugten sie neugierig - darunter auch zwei Offiziere, die Marlene offensichtlich erkannten. Mit einer unmissverständlichen Geste gab sie ihnen zu verstehen, dass ihr derangierter Zustand nichts zu bedeuten hatte.
    Das Letzte, was Marlene jetzt gebrauchen konnte, waren neugierige Fragen, während ihre junge Freundin noch immer um Fassung rang. So richtig vorzeigbar sahen sie nicht mehr aus: Ihre Frisuren waren zerzaust, ihre Seidenstrümpfe zerrissen und ihre Frühlingskostüme waren mit frischen Grasflecken übersät, die vermutlich jeder Reinigung trotzen würden.
    Marlenes weitere Bestandsaufnahme ergab, dass sie ihren Hut und Deborah ihren linken Schuh verloren hatte. Eigentlich hatte es in ihrer Absicht gelegen, dem jungen Mädchen eine weitere Standpauke zu halten, aber der Anblick ihres tränenüberströmten Gesichts hielt sie davon ab.
    Mein Gott. Das Kind besteht ja nur aus Wasser, dachte Marlene jetzt. „Komm. Ich bring dich zurück in dein Hotel“, forderte sie Deborah auf.
    Marlene hatte ihren Chauffeur entdeckt, der am steinernen Tor lehnte und eine Zigarette rauchte. Sie hätte jetzt selbst auch gut eine gebrauchen können.
    Der Fahrer hatte ihren sehnsüchtigen Blick richtig gedeutet und bot ihr eine an, aber sie winkte tapfer ab. Außerdem war es ein fürchterliches Kraut, das einem die Lunge verätzte, wenn man nicht aufpasste.
    Zu ihrer Überraschung griff ausgerechnet Deborah, die Sängerin, zu. Es war ein Akt puren Trotzes, Resultat ihrer ohnmächtigen Hilflosigkeit.
    Marlene kannte dieses Gefühl gut, sie hatte es oft genug am eigenen Leib erfahren. Missbilligend zog sie eine Augenbraue hoch. Deborah zahlte es ihr mit bockigem Starren zurück. Marlene ergab sich und warf dem wolkenlosen Himmel einen genervten Blick zu.
    Der Chauffeur gab Deborah Feuer. Er quittierte ihre unweigerlich nach dem ersten Zug einsetzende Hustenattacke mit einer amüsierten Grimasse. Marlene, nicht nachtragend, klopfte Deborah hilfsbereit mehrmals auf den Rücken und entwand ihr die glimmende Zigarette dann mit sanftem Griff. Sie reichte sie dem Chauffeur zurück, der sie sorgsam löschte und in seine Brusttasche zurücksteckte. Die Zigarette war viel zu kostbar, um sie zu verschwenden.
    Marlene führte die nach Luft japsende Deborah zum Wagen und wartete geduldig ab, bis sich deren Lungen wieder mit frischer, atembarer Luft gefüllt hatten.
    „Na? Geht es wieder?“, war alles, was Marlene zu ihr sagte, bis sie vor dem Grand Hotel hielten. Deborah strafte sie mit beleidigtem Schweigen und stieg grußlos aus.
    Zu Deborahs Erstaunen fuhr Marlene nicht davon. Stattdessen hieß die junge Schauspielerin ihren Chauffeur zu warten und kletterte ebenfalls aus der Limousine. Deborah wandte sich brüsk von ihr ab, zog ihren verbliebenen Schuh aus und tapste auf Strümpfen durch die Lobby. Marlene folgte ihr unaufgefordert.
    Auf ihrem Weg zum Fahrstuhl ernteten die beiden jungen Frauen eine Vielzahl erstaunter Blicke. An der Tür zur Suite unternahm Deborah einen halbherzigen Versuch, Marlene abzudrängen - aber sie ließ sich nicht abwimmeln, sondern betrat hinter ihr den Raum.
    Deborah war in einer merkwürdigen Stimmung. Obwohl sehr aufgebracht, fühlte sie sich gleichzeitig auch zu erschöpft, um sich weiter mit ihrer hartnäckigen Freundin zu befassen. So verschmutzt wie sie war, legte sie sich auf das Bett, rollte sich zur Seite und wandte Marlene demonstrativ den Rücken zu. Alles, was sie wollte, war jetzt alleine zu sein. Sie baute darauf, dass Marlene es bald leid sein würde, dass sie ihre Anwesenheit ignorierte, und dann von selbst verschwinden würde.
    Marlene wiederum ignorierte Deborahs unhöfliches Verhalten und sah sich in der luxuriösen Suite um. Nach ihrer gründlichen Inspektion goss sie sich einen Cognac aus der bereitstehenden Karaffe ein, nahm sich einen rosigen Pfirsich aus der Obstschale und machte es sich auf dem Sofa bequem. Marlene wartete ab. Sie beherrschte das Schweigespiel ebenso perfekt, wie sie bei Bedarf stundenlang oberflächliche Konversation betreiben konnte. Deborah würde reden, Deborah musste reden . Es dauerte ganze zwanzig Minuten, bis Deborah aus dem Bett schoss wie ein Schachtelteufel

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