Honigtot (German Edition)
indem sie sich - trotz mehrmaliger, unmissverständlicher Aufforderung - dazu verleiten ließ, den alkoholischen Getränken mehr zuzusprechen, als ihr guttat. Sie kannte Grenzen. Das Mädchen war so facettenreich wie ein Diamant, aber sie bedurfte noch eines ausführlichen Schliffs.
„Bist du wach?“, flüsterte Deborah und brach damit das Schweigen.
„Ja“, flüsterte Marlene zurück. „Was denkst du jetzt?“
„Dass du ganz schön ausg´schamt bist, wie man bei uns in Bayern sagen würde“, kicherte Deborah leise und streckte sich wohlig wie eine Katze auf der Fensterbank – das weibliche Pendant zu Albrechts schläfrigem Behagen.
„Aha. Und was bedeutet das genau?“, raunte Marlene, weiterhin auf der Hut, zurück.
„Dass du nicht feige bist.“
„Oh, danke. Was meinst du? Kann ich aufstehen und ins Bad gehen? Oder wacht Albrecht dann auf?“
„Und wenn schon, wir gehören ihm nicht“, erwiderte Deborah mit neu erwachtem Selbstvertrauen. Sie ging über das Gewesene mit einer Lässigkeit hinweg, die an Kaltschnäuzigkeit grenzte. Marlene fragte sich jetzt, ob eine kaum Achtzehnjährige tatsächlich derart abgebrüht sein konnte? Vorsichtig ließ sie sich aus dem Bett gleiten. Albrecht gab ein kurzes Grunzen von sich, wachte aber nicht auf.
Marlene sammelte ihre im Raum verstreuten Kleider ein, näherte sich dem Spiegel, als prüfte sie ihre Erscheinung und ließ dabei wie zufällig ihre hellblaue Kostümjacke auf die kleine, stehende Pfütze fallen. Beim Aufheben wischte sie kurz darüber und vergewisserte sich mit einem versteckten Seitenblick zum Bett, dass Albrecht sie nicht dabei beobachtet hatte. Deborah hingegen schon. Sie nickte beifällig, kletterte ebenfalls aus dem Bett und tappte barfuß hinter ihr ins Badezimmer.
„Oje“, meinte sie beim Anblick der ruinierten Kleider auf Marlenes Arm. „Mit denen kannst du dich ja wohl nicht mehr blicken lassen. Ich hol dir was von meinen Sachen.“ Sie verschwand kurz im Schlafzimmer und kehrte mit einem grauen Tageskleid und der dazugehörigen Jacke zurück. „Hier, das müsste dir passen.“
„Danke.“ Marlene war hurtig zurück in die Wanne geklettert. Sie hasste es, gutes Wasser zu verschwenden. Es war inzwischen nur noch lauwarm und fühlte sich auf ihrer erhitzten Haut beinahe kühl an.
Deborah blieb unschlüssig neben ihr stehen, als überlegte sie, ob sie nun ihrerseits zu Marlene in die Wanne steigen sollte. Doch Marlene nahm ihr die Entscheidung ab, indem sie sich bereits wieder daraus erhob. Dankbar nahm sie das Handtuch an, das ihr Deborah, selbst immer noch nackt, reichte.
Während sich Marlene abtrocknete, hatte sie zum ersten Mal die Muße, Deborahs nackten Körper zu bewundern. Sie musste zugeben, dass alles an dem Mädchen vollkommen schien: Die jungen hohen Brüste, von kleinen rosa Spitzen gekrönt, die zarte Taille, die Beine wohlgeformt und lang. Dazu eine ebenmäßige Haut, die schimmerte wie frische Sahne. Kein Wunder, dass dieser Brunnmann ihr derart verfallen war. Deborahs junger Körper stand zwar erst am Anfang seiner fraulichen Entwicklung, doch sie verfügte über eine natürliche Begabung für die hohe Kunst der Verführung. Deborah hatte die Musterung bemerkt. Selbstbewusst und ohne jegliche Spur von Scham hob sie den Kopf, als wollte sie fragen: Gefalle ich dir?
Marlene lächelte sie beinahe zärtlich an. „Du solltest dir entweder ein frisches Bad gönnen oder wenigstens einen Morgenmantel anziehen. Du frierst nämlich.“ Sie tippte Deborah auf den Arm, der komplett mit Gänsehaut überzogen war. Plötzlich runzelte sie die Stirn, packte diesen fester und drehte ihren Unterarm nach oben. „Was ist das?“, fragte sie scharf. Wie Albrecht hatte sie die vielen, zum Teil parallel verlaufenden, blassen Narben entdeckt. Deborahs andere Wunden, die Abschürfungen und blauen Flecke, hatte sie dem groben Liebesspiel zugeschrieben. Doch diese hier waren älter und von anderer Art. Sie war sich beinahe sicher, dass es Schnitte waren, die von einem Messer herrührten. Es alarmierte sie, denn etwas Ähnliches hatte sie bereits einmal bei einem anderen jungen Mädchen gesehen - als Ausdruck ihrer Seelenqualen.
„Nichts.“ Deborah, plötzlich verschämt, entzog ihr hastig die Arme.
Marlene hielt es für klüger, sie nicht weiter zu bedrängen, vielleicht ein anderes Mal. Dringlichere Angelegenheiten erforderten nun ihre Aufmerksamkeit. Zum Beispiel, wie sie an Brunnmanns Unterlagen in dem Tresor herankommen
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