Honigtot (German Edition)
bemühte sich um einen harmlosen Ton – zu viele Hoffnungen knüpfte ihre Gruppe an diese Tasche.
„Unmöglich. Wenn er kommt, nimmt er die Papiere sofort heraus und sperrt sie in den Hotelsafe.“
„Das Zimmer hat einen Safe?“ Marlenes Puls hatte sich kaum merklich beschleunigt.
„Ja, einen richtigen Schrank. Er ist hinter dem Spiegel im Schlafzimmer.“
„Zeig ihn mir“, forderte sie sie auf und erhob sich bereits halb aus der Badewanne.
„Warte“, bremste Deborah sie aus. Marlene verharrte mitten in der Bewegung, den Fuß bereits auf dem Wannenrand. Sie bemühte sich dabei, sich ihren jähen Anflug von Sorge nicht anmerken zu lassen. War sie zu schnell vorgeprescht?
Deborah musterte Marlene. Ihren feinen Antennen war deren jähe Erregung nicht entgangen, obwohl sich die Schauspielerin sofort wieder in der Hand hatte und sich jetzt betont langsam in die Wanne zurückgleiten ließ. Marlene baute nun selbst eine Schaumpyramide, während sie auf Deborahs weitere Reaktion wartete.
Deborahs Frage erfolgte dann nicht völlig überraschend, doch zu diesem frühen Zeitpunkt hatte Marlene eigentlich nicht damit gerechnet. Sie empfand jedoch leise Genugtuung, weil es ihre ursprüngliche Einschätzung über die Qualitäten des Mädchens bestätigte.
„Sag, Marlene“, Deborah pustete mit spitzen Lippen ein wenig Schaum in die Luft, „du bist irgendwie ganz schön neugierig, finde ich. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man fast auf die Idee kommen, dass du sowas Ähnliches wie eine Spionin bist.“ Auch wenn Deborah bisher kaum auf die Tischgespräche der Männer geachtet hatte, so hatte sie doch einmal aufgeschnappt, dass die Männer anscheinend nichts mehr fürchteten als Spione und Sabotageakte. Deborah versuchte ein gleichmütiges Gesicht zu bewahren, doch Marlenes geschultem Ohr entging nicht der Ton gespannter Erwartung in ihrer Stimme.
Marlene atmete selbst beinahe hörbar aus. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie zwischenzeitlich die Luft angehalten hatte. Langsam ließ sie ihre Finger durch das Wasser gleiten. „Ich, für meinen Teil, bevorzuge statt Spionin den Ausdruck Widerstandskämpferin, Chérie“, erwiderte Marlene. Sie betonte das Kosewort extra, um die Atmosphäre, die sich plötzlich zwischen ihnen verdichtet hatte, wieder etwas aufzulockern.
Deborah bedachte sie mit einem schrägen Seitenblick, um danach enervierend lange auf ihrer Unterlippe herumzukauen. Das Schweigen stand zwischen ihnen, dehnte sich weiter aus, und Marlene widerstand nur knapp der Versuchung, selbst auf ihrer Lippe zu kauen.
Ohne Vorwarnung rief Deborah plötzlich: „Dann komm.“ Voller Übermut hüpfte sie aus der Wanne, begleitet von einem Schwall Wasser.
Deborahs kindlicher Eifer versetzte Marlenes momentanem Triumphgefühl einen herben Dämpfer. Eine lang vergessene Empfindung regte sich in ihr: Der Anflug eines schlechten Gewissens. Sie war nicht glücklich darüber, weil es sie damit konfrontierte, dass sie aufrichtige Sympathie für das Mädchen entwickelt hatte. Und das, obwohl sie gerade im Begriff stand, ihr unschuldiges Vertrauen auszunutzen. Deborah wusste nicht, auf welche Gefahren sie sich einließ. Für sie war es ein neues, aufregendes Spiel. Doch dieses Spiel war bitterer Ernst, der Einsatz das eigene Leben.
Marlene, bereits erfahren in diesem Spiel, wusste, dass sie Deborah als Erstes beibringen musste, Respekt vor der Gefahr zu entwickeln. Spionage war vor allem eines: Die Kunst des Überlebens.
Deborah war nackt und tropfnass in das angrenzende Schlafzimmer vorangeeilt. Marlene folgte ihr. Deborah stand schon vor dem mannshohen Spiegel und hatte ihn an zwei versteckten Scharnieren zur Seite geklappt. Dahinter kam eine Nische zum Vorschein, in der ein ungefähr 140 Zentimeter hoher Schrank aus poliertem Kirschholz stand. Er war mit Intarsien verziert und wirkte wie ein Sekretär. Deborah öffnete die äußere Türe, die den Tresor verdeckte. Da erst offenbarte er sein stählernes Innenleben.
`Königlicher Hoflieferant´
`J. Ostertag, Aalen – Kassenschrank Fabrik ´, war darauf zu lesen.
Marlene trat näher heran und begutachtete das Vorkriegsmodell, ein - Ironie des Schicksals - deutsches Markenfabrikat. Sie war keine Safe-Expertin, aber ihn zu öffnen würde sicherlich einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Anwendung von Sprengstoff oder ein Aufhebeln standen völlig außer Frage. Beides würde Spuren hinterlassen. Der eigentliche Sinn jedweder Spionage bestand darin, dass niemand
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