Honigtot (German Edition)
konnte und ob Deborah ihr immer noch dabei helfen wollte?
Alle ihre Sinne waren jetzt darauf gerichtet, dass Deborah etwas sagte, der Impuls musste von ihr ausgehen. Andernfalls würde sie sich jetzt verabschieden und bei ihrer nächsten Verabredung einen weiteren, vorsichtigen Vorstoß wagen.
Um die Zeit noch etwas auszudehnen, zog sie sich betont langsam an. Deborahs Kleider passten beinahe wie angegossen, nur an den Schultern und in der Taille saßen die Nähte etwas straffer.
Deborah hatte sich inzwischen in den Bademantel mit den Initialen des Hotels gehüllt und auf den Wannenrand gesetzt. Ihre schmale Hand fuhr durch das kalte Wasser und rührte spielerisch darin herum.
Marlene hatte sich fertig angekleidet und schlüpfte strumpflos in ihre Schuhe. Sie bückte sich und schloss die Schnallen. Dann erhob sie sich, trat vor den Spiegel und fuhr sich mit ihren Fingern durch die Haare. Plötzlich sagte Deborah nicht besonders leise: „Ich möchte auch eine Widerstandskämpferin werden.“
„Schschh“, entfuhr es Marlene. Hastig fuhr ihr Kopf zur Badezimmertüre. Es war eine massive Tür und sie war verschlossen, trotzdem … das kleinste Wort konnte Misstrauen wecken, der kleinste Fehler konnte tödlich für sie enden.
Marlene hatte sich neben Deborah auf den Wannenrand gesetzt und flüsterte eindringlich: „Hier können wir nicht reden. Ich hole dich morgen Vormittag wieder ab, um die gleiche Zeit. Dann können wir alles besprechen. Eines vorab: Ich weiß, wie schwer es dir fallen wird, aber sprich Albrecht keinesfalls mehr auf die Judentransporte an, hörst du? Du darfst unter keinen Umständen nach außen hin Solidarität mit den Juden oder auch den Polen zeigen. Benimm dich ganz normal und frage ihn niemals nach seiner Arbeit oder nach seiner Tasche, geschweige denn nach dem Tresor. Du hast es bisher nicht getan und solltest es auch in Zukunft nicht tun. Es würde sofort sein Misstrauen wecken. Unser beider Leben hängt davon ab, dass er dir weiter vertraut. Ansonsten sind wir schneller tot, als ich Chérie sagen kann. Hast du das verstanden?“
„Natürlich.“ Deborah blinzelte, wirkte aber keineswegs eingeschüchtert. „Darf ich dir noch eine Frage stellen?“
Marlene hatte sich bereits aufgerichtet, um einen letzten kritischen Blick in den Spiegel zu werfen. „Natürlich“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und tupfte mit dem Zeigefinger etwas Rouge auf Wangen und Lippen.
„Warum bist du im Widerstand? Ich dachte, du wärst Schauspielerin?“
Langsam drehte sich Marlene zu ihr um. Ihre Augen blitzten, während sie sich in Positur stellte. Leise deklamierte sie dann:
„ Die Hölle ist leer. Alle Teufel sind hier .“ Um anschließend mit normaler Stimme zu sagen: „Das ist aus Shakespeares `Der Sturm ´ , Chérie. Die Welt ist jetzt meine Bühne.“
Kapitel 4 2
Pünktlich am nächsten Tag war Marlene zur Stelle. Die beiden jungen Frauen fuhren erneut in den Planty-Park und setzten sich auf eine einsame Bank abseits des Weges. Dort saßen sie zwei Stunden, die Köpfe eng beieinander, und Deborah erhielt ihren ersten Unterricht in der Kunst der Spionage.
Marlene hütete sich, ihr etwas über die Gruppe zu erzählen, weder wie groß sie war noch wer ihr angehörte, noch nicht einmal, dass der Anführer Jakob hieß. Marlene nannte ihn stattdessen Pavel.
Es ging vielmehr darum, dass Deborah lernte, auf alles zu achten, was um sie herum gesagt wurde. Sie kam mit vielen wichtigen Funktionären zusammen und jede kleinste Information konnte von immenser Wichtigkeit sein, auch wenn es für sie selbst nicht den Anschein hatte. Doch weder durfte sie sich anmerken lassen, dass sie genau zuhörte, noch sich das kleinste Wort dazu notieren. Sie musste sich stattdessen so viel wie möglich davon merken und Marlene bei ihren täglichen Treffen mündlich übermitteln.
Allerdings würde dies nicht immer möglich sein. Manchmal bestand Ernst darauf, dass Marlene ihn bei seinen kurzen Reisen begleitete. Er war Offizier des Ersatzheeres und für Nachschub und Logistik zuständig und aus diesem Grund häufig unterwegs. Dann würde Deborah auf Marlenes Rückkehr warten müssen. Albrecht hatte sie erst kürzlich darüber informiert, dass seine Arbeit es erforderlich machte, ihren Aufenthalt im Generalgouvernement um einige Wochen zu verlängern. Vor Juni würden sie also nicht nach München zurückkehren.
Jakobs Befehle lauteten, dass niemals ein Außenstehender einen weiteren Kontakt aus
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