Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
Vom Netzwerk:
den die beflissene Ottilie neben dem Arztkoffer schon für ihn bereithielt. Zuletzt setzte er sich den Hut auf und eilte - nach einem flüchtigen Kuss für die Gattin - davon, um einer werdenden Mutter beizustehen.

 
     

    Kapitel 6
     
     
    Anfangs hatte die Absicht des Doktors, zu heiraten, Ottilie, dem Hausmädchen, schlaflose Nächte beschert. Immerhin herrschte sie seit fast sechs Jahren - seit die Eltern des Doktors kurz hintereinander verschieden waren -, allein über ihn. Doch weil alles, was der Doktor tat, in Ottilies Augen gut und richtig war, hatte sich ihr innerer Aufruhr bald gelegt.
    Zudem war die gnädige Frau von einer solchen Berühmtheit, dass sich dies auf Ottilies Ansehen und Stellung innerhalb des Dienstbotenzirkels am Prinzregentenplatz niedergeschlagen hatte. Außerdem pfuschte die Frau Doktor ihr in keine haushaltlichen Belange hinein. Was wollte man mehr?
    Ottilie war das Ebenbild stabiler Robustheit, mit gesunder Hautfarbe und einem noch gesünderen Appetit. Sie hatte nur einen Makel: Unerklärlicherweise litt Ottilie an einer entsetzlichen Angst vor Gewittern. Sobald es blitzte und donnerte, flüchtete sie sich unverzüglich in den Gewölbekeller und ward nicht mehr gesehen.
    Der Doktor hatte einmal scherzhaft angemerkt, dass sie wahrscheinlich zusammen mit Hans - der Hausdiener folgte Ottilie wie ein treuer Schatten - an der nächsten Arche Noah werkte.
    Dieser Ausspruch wurde bald zum geflügelten Wort unter allen Mitgliedern des Haushaltes. Wer immer nach der gerade nicht auffindbaren Ottilie fahndete, erhielt die prompte Antwort: „Sie baut an der Arche.“
    Wenn sich später jemand aus der Familie an die glücklichen Tage in München zurückbesann - jener Zeit, bevor die Nationalsozialisten an die Macht gelangten -, dann gedachten sie ihrer stets als die „Arche-Noah-Zeit“.
    Vor allem aber bestimmten Ordnung und Reinlichkeit Ottilies Leben. Da die Wohnung dies stets widerspiegelte, sah man ihr die diversen Schrullen gerne nach. Außerdem verfügte sie über ein großes bayerisches Herz, das seit langem für den Hausdiener Hans schlug. Ottilies Hans war von schlichtem Gemüt und gutem Willen.
    Als Elisabeth ihn das erste Mal erblickt hatte, hatte sie spontan ausgerufen: „Ach du meine Güte, ein fescher Bursche! Er sieht ja aus, als hätten die Götter selbst ihn im Olymp gezeugt!“ Sie hatte Recht. Mit seiner riesenhaften Gestalt von beinahe zwei Metern wäre Hans ein idealer Kandidat für die Leibgarde des alten Fritz und dessen Vater, dem Soldatenkönig selig, gewesen. Im Volksmund erinnerte man sich noch gerne an die Garde der “Lange Kerls“. Denn seit dem Ende der Monarchie, dem verlorenen Krieg und dem darauffolgenden politischen Gerangel der neuen Weimarer Republik gab es nicht wenige Alte, die den glanzvollen Zeiten der legendären Preußenkönige nachtrauerten.
    Es ist eine anerkannte Wahrheit, dass man sich in elenden Zeiten immer gerne in die vorgeblich guten alten Zeiten zurückwünscht. Die Politik spielt gerne mit solch unerfüllbaren Wünschen.
     
    * * * * *
     
    Hans, nicht ahnend, dass er dem Idealbild der von den aufstrebenden Nationalsozialisten propagierten Herrenrasse entsprach, hatte einen älteren Bruder mit Namen Franz. Dieser Franz war eine weit gröbere Ausgabe von Hans. Bereits seit 1921 sang, brüllte und marschierte er - meistens alles gleichzeitig - in der paramilitärischen Sturmabteilung. Kein Wunder also, dass bei derart vielen und gleichzeitig ablaufenden Aktivitäten kein Raum mehr zum Denken blieb. Diese Ansicht vertrat jedenfalls Ottilie, die Hans' Bruder Franz zutiefst verabscheute.
    Hans selbst verfügte über keinerlei eigene Meinung. Er richtete sich voll und ganz nach den Befindlichkeiten seiner Ottilie.
    Die Umtriebe von Bruder Franz und dessen blassem Revolutionsanführer verlangten Ottilie nicht mehr als ein verächtliches Schnauben ab. „Geh, hör ma doch auf mit dem Gschaftlhuber und seinem windigen Schnäuzer unter da Nos´n!“, fuhr sie ihren Hans an, als er mal wieder die Lobreden seines Bruders Franz wiederholte. Wenn ein Mann nicht einmal einen anständigen Bart hinbekam, war das für Ottilie hinlänglich Beweis für seine Unfähigkeit.
    Dieser für Ottilies Maßstäbe kaum nennenswerte Temperamentsausbruch ereignete sich, als Hans Ottilie gefragt hatte, wie sie dazu stünde, wenn er, dem Wunsch seines älteren Bruders Franz entsprechend, sich ebenfalls der Sturmabteilung anschließen würde. Wie immer fügte sich Hans

Weitere Kostenlose Bücher