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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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Zentrum eines wichtigen Geschehens geraten zu sein, hatte dieser große Mühe, an sich zu halten. Am liebsten hätte er seine Gattin nun doch wie einen Pflaumenbaum geschüttelt. Schließlich waren die Revolutionäre bewaffnet, überaus gefährlich und sehr verfolgt. Und darum zu allem fähig. Elisabeth, die berühmte Sopranistin, hätte genauso gut als ihre Geisel enden können. Solcherlei Bedenken wären Elisabeth jedoch selbst niemals gekommen.
    Dies war der Augenblick, in dem Gustav das erste Mal das Gefühl beschlich, ob er die Rolle des Professor Higgins aus Pygmalion nicht ein wenig zu sehr mit seiner eigenen Selbstüberschätzung geteilt hatte?
    Von Anfang an hatte Gustav um die heiteren Schwächen Elisabeths gewusst, die zwar eine schöne Seele besaß, die aber noch einer bedachten Formung bedurfte - einer Aufgabe, zu der er sich berufen gefühlt hatte. Aber Elisabeth war nicht Eliza, das Blumenmädchen.
    Gustav stellte sich nun die späte Frage, ob er tatsächlich nicht ein ewiges Kind von dreiundzwanzig Jahren geheiratet hatte. Äußerlich eine wunderschöne junge Frau, innerlich jedoch rührend unschuldig - ein kleines Mädchen, das geliebt und gelobt werden wollte. Er warf seine gesamte Liebe in die Waagschale, um sich jetzt nicht in Adjektiven wie blauäugig oder gar töricht im Zusammenhang mit dem wahrlich bezaubernden Geschöpf an seiner Seite zu ergehen.
    Und wie gewöhnlich, wenn er auch nur andeutungsweise Gefahr lief, eine negative Eigenschaft an seiner zärtlich geliebten Gattin zu entdecken, relativierte er diese auf dem Fuße, indem er selbst eine Erklärung hierfür fand: Natürlich, Elisabeth hatte fast ihr gesamtes Dasein in der isolierten Welt der Musik verbracht. Sie lebte fern und entrückt von allem, beinahe wie im Inneren einer Schneekugel. Diesen Platz hatte sie sich selbst erwählt, teilte ihn mit den Partituren und Schöpfungen vergangener Meister, deren verlängerter Atem sie im Hier und Jetzt war. Es war die Kunst der Interpretin Elisabeth, die der Musik Leben einhauchte. Der Glanz ihrer Stimme war es, die den Melodien der Komponisten für alle Zeit Unsterblichkeit verlieh.
    Während Gustav Elisabeths Verhalten zum Erhalt seines Seelenfriedens ins rechte Licht rückte, erinnerte er sich daran, dass Elisabeth für alles, ob für die Belanglosigkeiten des Lebens oder die prägenden Ereignisse, stets einen Bezug zur Musik herstellte.
    Versuchte seine junge Gattin zum Beispiel im Restaurant ein neues Gericht und es schmeckte ihr besonders, konnte es passieren, dass sie vor allen anderen Anwesenden im Raum in Begeisterung ausbrach und ohne Scheu rief: „Oh, das zergeht so leicht und fein auf der Zunge, das schmeckt wie Vivaldi!“ Elisabeths Temperament schäumte wie Champagner.
    Unvergesslich waren ihm auch ihre Flitterwochen an der Ostsee, als das Wetter rau, der Wind stürmisch und die Wolken am Himmel sich über ihnen grau in grau getürmt hatten, als wollten sie sich kopfüber ins Meer stürzen.
    Alle anderen Spaziergänger hatten schleunigst kehrtgemacht und sich auf einen heißen Tee mit Rum zurückgezogen. Doch Elisabeth wollte unbedingt am Meer verweilen, das sie an diesem Tag zum ersten Mal erblickt hatte. Sie riss sich los von ihrem widerstrebenden Gatten und stürmte der tosenden See entgegen - ein winziger Kontrastpunkt zum gewaltigen Horizont. Blitzschnell hatte sie ihre Knopfstiefel von sich geschleudert, ihr Kleid gerafft und sich dann beinahe selbst kopfüber in das Meer gestürzt - hätte ihr frisch angetrauter Ehegatte sie nicht im letzten Moment daran gehindert.
    Mit einer Inbrunst, deren Klang ihm auch heute noch durch Mark und Bein fuhr, hatte sie die Arme ausgebreitet und, ihr nasses kleines Gesicht dem Meer zugewandt, gerufen:
    „Das ist es! Ja, genauso muss es gewesen sein. Spürst du es, kannst du es fühlen, Gustav? Die Ouvertüre der jungen Welt? Das ist Tristan und Isolde, das ist Leidenschaft und Liebe, Sturm und Kraft. Das ist das Ungewisse der Gewalten!“
    Ihre Knopfstiefeletten segelten derweil neuen Ufern entgegen.
     
    * * * * *
     
    Ganz so ahnungslos und weltfremd, wie der Eindruck es vermittelte, war Elisabeth dann aber doch nicht: Sie besaß eine feinsinnige Künstlerseele, die sich wohl nach der Musik verzehrte und sich fast allem zu entziehen suchte, das nicht ihren inneren Ton traf, aber sie verfügte auch über ein feines Gespür für Menschen.
    So hatte Elisabeth für eine Weile eine Konzertpause eingelegt, um alle Annehmlichkeiten und

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