Honigtot (German Edition)
angedeutet habe, dir morgen noch mehr Informationen zu geben.“ Marlene flüsterte ihr einige fingierte Angaben zu, die sie für den Fall einer Ergreifung parat hatte. Die Nazis würden in der alten Fabrik zwar ein paar Dinge vorfinden, wie zum Beispiel einige erbeutete SS-Polizeiuniformen, aber sie waren extra dafür präpariert worden. „Was ist? Warum siehst du mich so an?“ Deborah zögerte plötzlich, mit der Nachricht von Jakobs Verhaftung herauszurücken. Marlene wusste scheinbar noch gar nichts davon. Marlene hatte Jakob zuerst geliebt, aber er war in ihren, Deborahs Armen, verhaftet worden. Sie gab sich einen Ruck. „Jakob ist verhaftet worden“, flüsterte sie.
„Ich weiß, aber wir können nichts für ihn tun.“ Marlenes Miene wirkte plötzlich wie versteinert.
„Aber du kennst doch sicher seine Kameraden. Vielleicht können die ihn befreien.“
„Sei nicht naiv. Die haben genug mit sich selbst zu tun.“
„Aber …“
„Nichts aber. Jakob kannte das Risiko. Nicht unser Leben zählt, sondern die Sache. Du musst jetzt seinen und meinen Platz einnehmen, Deborah. Genau das würde dir Jakob sagen, wäre er hier. Tu es für ihn. So und jetzt geh und sieh zu, dass du dir das Protokoll schnappst. Wir zählen auf dich. Vergiss nicht, du hast es versprochen. Beides. Bis morgen, Freundin.“
Nachdem Deborah gegangen war, fiel die entschlossene Maske von Marlene ab und wich purer Verzweiflung. Greiff hatte gesiegt. Nichts war ihr geblieben, nicht einmal ihr Stolz. Sie konnte nur darauf bauen, dass Deborah ihr Versprechen halten und ihr das Zyankali geben würde – wenn sie sie überhaupt nochmals zu ihr lassen würden. Marlene sehnte sich nach dem Tod. Sie hatte alles gewagt und alles verloren: Sie hatte Jakob verraten, in der wahnwitzigen Hoffnung, ihn retten zu können, ihn vor weiterer Folter zu bewahren. Greiff hatte sie dabei zusehen lassen - Marlene war dazu mit starken Stricken an einen hohen Stuhl gefesselt worden -, während er Jakob gequält hatte, Stunde um Stunde, die ganze Nacht.
Jakob hatte sofort begriffen, was sein Peiniger mit Marlenes Anwesenheit bezweckte. Er hatte ihr zugerufen, dass sie den Mund halten solle. Nicht er war wichtig, sondern die Sache. Und genau das hatte sie gerade auch zu Deborah gesagt. Irgendwann am Morgen hatte Marlene es nicht mehr ausgehalten. Greiff hatte Jakob ein Auge ausgestochen. Jakob stöhnte, aber er schrie nicht. Nicht einmal. Dafür schrie Marlene für ihn, bis ihre Stimme brach und sie so heiser war, dass sie kaum mehr ein Flüstern hervorbrachte. Und dann, als Jakob das erste Mal das Bewusstsein verlor, hatte sie gewispert: „Hören Sie auf, Greiff! Ich erzähle Ihnen, was ich weiß, aber erst, wenn ein Arzt sich um Jakob kümmert.“
Ein Wink von Greiff und ein Arzt war nur wenige Minuten später erschienen. Greiff näherte sich Marlenes Gesicht und sagte: „Zug um Zug. Du redest, während der Arzt Wanda versorgt. Also, ich höre.“ Da hatte Marlene ihm alles erzählt, was sie über die nächste geplante Aktion wusste.
Was hatte sie nur getan! Sie hatte alles verraten, sich, Jakob, ihre Sache, und hatte damit rein gar nichts erreicht. Am Ende sah Greiff sie prüfend an und sagte: „Ich danke dir, Anna, dass du mich nicht belogen hast, immerhin. Denn all das hat mir bereits ein anderer Informant gestern Abend berichtet. Es ist bedauerlich, aber da ich nichts Neues von dir erfahren habe, sehe ich mich daher nicht an unser Abkommen gebunden.“ Er hatte sie dazu beinahe liebenswürdig angelächelt. Und dann hatte er den Arzt weggeschickt und sein schreckliches Werk fortgesetzt.
Die Tür zu ihrem Gefängnis ging erneut auf. Marlene ahnte, dass es wieder der Wächter war. Er hatte sie schon gestern belästigt. Sie konnte sich nicht gegen seine Hände wehren. Er war es. „Puh, du Schlampe stinkst wie ein ganzer Schweinestall.“
„Gleichfalls. Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich vorher gebadet.“
„Halts, Maul.“ Er schlug sie ins Gesicht. Es tat weh und Marlene schmeckte Blut auf der Lippe. Der Schmerz freute sie, es tat gut, ihn zu fühlen. Sie musste an Deborah denken, die ihn sich selbst zufügte. Ihre Freundin hatte Recht, Schmerz konnte Erleichterung bringen. Unvermittelt lachte Marlene laut heraus.
„Was ist los? Warum lacht sie?“ Ein zweiter Mann, gefolgt von einem Dritten hatte die Zelle betreten. Marlene konnte sie nicht sehen, sie verharrten außerhalb ihres Blickfeldes.
„Keine Ahnung,
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