Honigtot (German Edition)
wieder, wenn Ihr mit Ergebnissen aufwarten könnt. Ihr seid entlassen.“ Ungeduldig, seinem Besucher weiter den Rücken zugewandt, wedelte er mit der Hand, als ob er eine lästige Fliege verscheuchen wollte. Durch die Bewegung brach sich das unstete Kerzenlicht auf dem riesigen, funkelnden Rubin seiner Rechten, verstärkte sein Leuchten um ein Vielfaches und ließ ihn wie einen Blutstropfen aufblitzen. Für einen winzigen Moment schien der Raum gleichsam wie in Feuer getaucht. Bruder Domenico, der kurz den Kopf gehoben hatte, sah darin ein schreckliches Omen. Ergeben verharrte er an seinem Platz.
Unwillig wandte sich der Mann am Fenster nun doch nach ihm um. „Was will Er denn noch?“, fuhr er ihn herrisch an.
„Ehrwürdiger Vater, ich bin untröstlich, aber es ist uns nicht möglich, Eurem Wunsche zu entsprechen“, stieß der Mann mit gesenktem Kopf hervor. Nicht nur seine Stimme, sondern sein gesamter Körper bebte jetzt.
„Warum?“, fragte die harte Stimme gedehnt. Er war es gewohnt, dass seine Befehle unverzüglich ausgeführt wurden.
Nur mit Mühe formten Bruder Domenicos kalte Lippen die verhängnisvolle Antwort, die, wie er wusste, auch sein Schicksal besiegelte: „Weil die Frau tot ist.“
Ein Schatz des Wissens
Nürnberg, Deutschland – Gegenwart
Nürnberg ist eine geschichtsträchtige Stadt. Anfang des ersten Jahrtausends gegründet, erlebte sie ihre zweite Blütezeit Ende des 15. Jahrhunderts. Damals herrschte in der Stadt ein Rat aus einflussreichen Kaufmannsfamilien, die sich nach römischem Vorbild Patrizier nannten und durch Handel reich und mächtig geworden waren. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges diente die Stadt den Siegermächten als Schauplatz für die Abrechnung mit prominenten Nazischergen wie Hermann Göring und Heinrich Himmler. Die Nürnberger Prozesse fanden im Justizgebäude an der Fürther Straße statt, das heute zu besichtigen ist. Viele namhafte Unternehmen, von denen das bekannteste Siemens ist, haben in Nürnberg ihren Ursprung.
Zu einem dieser Inhaber eines namhaften Unternehmens war der blaue Lieferwagen an diesem frühen Morgen unterwegs. Sein Ziel war eine imposante Patriziervilla aus dem 17. Jahrhundert auf einem parkähnlichen Grundstück im Nürnberger Stadtteil Lauf am Holz.
Morgennebel schwebte noch über dem sattgrünen Rasen. Eine schnurgerade Anfahrtsallee, die von Zypressen gesäumt war, führte zum Haupthaus, dessen Fassade malerisch mit Kletterrosen und blassrosa Glyzinien bewachsen war. Um das gesamte Grundstück verlief eine Backsteinmauer, nur unterbrochen durch das schmiedeeiserne Tor. Weder an der Klingel noch am Briefkasten befand sich ein Namensschild. Man wusste, wer hier wohnte.
Der Wagen mit der Aufschrift Heizungsbau Fugga hielt vor dem Tor und der Fahrer, ein kräftiger Brillenträger, streckte den Arm aus dem Fenster und läutete.
Aus der Gegensprechanlage antwortete ihm eine ältliche Frauenstimme: „Ja, bitte?“
„Hier ist Heizungsbau Fugga.“
Mit einem Summen schwang das große Tor zur Seite, der Wagen rollte die Auffahrt entlang und hielt direkt vor dem Haus. Der Fahrer und sein jüngerer Beifahrer stiegen aus und hoben jeder einen schweren Werkzeugkoffer aus dem Lieferwagen.
Eine wohlbeleibte Dame in einem schwarzen Kleid mit weißer Schürze erwartete sie bereits. „Guten Morgen, ich bin Frau Gabler, die Haushälterin der Familie von Stetten. Kommen Sie herein. Ich zeige Ihnen, wo Sie anfangen können.“
Die beiden Handwerker, Vater und Sohn Fugga, folgten ihr in die Eingangshalle, die mit schwarz-weißen Terrazzofliesen ausgelegt war. Rechts und links von der Halle führte eine Rundtreppe mit geschnitztem Eichengeländer in den ersten Stock und vereinte sich oben in einer Galerie. Goldgerahmte Gemälde säumten die Wände auf beiden Seiten. Links von ihnen gab eine Flügeltür den Blick in eine holzgetäfelte Bibliothek frei. Frau Gabler wusste, wie beeindruckend die Eingangshalle auf neue Besucher wirkte und ließ den Handwerkern Zeit, das Haus ihrer Herrschaft gebührend zu bewundern. Nun führte sie die beiden zielstrebig in die Bibliothek.
„Hier fangen Sie bitte an.“
„Äh, Frau Gabler, entschuldigen Sie bitte“, meldete sich Fugga der Ältere zu Wort. „Herr von Stetten hat uns lediglich beauftragt, die Heizungsrohre in den Bädern und in den Schlafzimmern auszutauschen. Von der Bibliothek ist in unserem Gespräch und bei der Begehung nie die Rede gewesen.“
„Das geht schon in Ordnung. Frau
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