Honigtot (German Edition)
Brabbeln gar nicht erst zuzusehen, weil einem der Appetit dann ganz und gar vergehen könnte , wie Elisabeth angemerkt hatte.
Biene, die Rauhaar-Dackeldame, war die Einzige, die Bertha in der neuen Einsamkeit ihrer Küche noch Gesellschaft leistete. Sie unterschied nicht in derlei appetitlichen Feinheiten. Es fehlte daher auch nicht an gebührender Belohnung für so viel Treue und Gesellschaft und Biene wurde daher bald ziemlich dick auf kurzen Stumpen.
Einmal, als ein besonders trüber und sämiger Eintopf auf den Tisch kam, eine schmackhafte Mahlzeit, die der Doktor früher stets ohne Aufschub in Angriff genommen hatte, zögerten alle im plötzlichen, stillen Einvernehmen. Dann aber meinte der Doktor mit einem sportlichen Achselzucken: „Was soll´s, ihr Lieben. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, stimmt´s? Der Eintopf schmeckt nicht kalt.“ Er griff nach dem Löffel und nahm die erste Probe ohne Verzug. Alle taten es dem Familienoberhaupt nach und es schmeckte gut - voll und würzig.
Später sagte Gustav zu seiner klugen Tochter Deborah, die er im Sinne von Toleranz und Humanität erzog: „Pass gut auf, Deborah. Im Grunde ist unser Umgang mit Berthas, hm …, nennen wir es Küchenauswurf , eine entlarvende Allegorie auf das deutsche Volk. Leider sieht auch das deutsche Volk nicht, was es nicht sehen will, und wird die Suppe bis zum bitteren Ende auslöffeln müssen.“
Dann hatte er eine ganze Weile nur still dagesessen.
Magda, die des Doktors Worte wie immer in sich aufgesogen hatte, war sofort in die Bibliothek gerannt und hatte im Großen Brockhaus nachgeschlagen. Sie wollte in Erfahrung bringen, was das Wort `Allegorie´ genau für eine Bedeutung hatte, und fand als Erklärung: `Gleichnis´. Und darunter das ihr unheilschwanger geltende Beispiel: `Der Tod als Sensenmann´.
In dieser Nacht wälzte sich Magda unruhig in ihrem Bett und träumte vom Tod. Und sein Abbild glich haargenau dem eines bleichen Mannes mit fanatischen Augen und einem kleinen Oberlippenbart.
Es dauerte bis Ende 1936, bis Elisabeth nach vielen Rückschlägen wieder so weit zu Kräften gelangt war, dass sie einen neuen Anlauf, Deutschland zu verlassen, nehmen konnten. Dann, im Januar 1937, wurde das Wolferl schwer krank und der Doktor diagnostizierte Typhus.
Typhus galt ebenso wie Tuberkulose als eine aussätzige Krankheit und war in Hitlers Reich verfemt. Der Führer selbst hatte sie geächtet. Kein Krankenhaus hätte Wolferl aufgenommen. Daher pflegte der Doktor seinen Sohn zuhause. Erneut verging fast ein Jahr, bis Gustav kurz vor Weihnachten Elisabeth endlich mitteilen konnte, dass das Wolferl wieder gesund und kräftig genug war, um die Reise antreten zu können.
Gustav plante nun alles mit Akribie, rannte auf Ämter, wartete monatelang auf Papiere und Stempel. Dann wurde im März 1938 Österreich angeschlossen, heimgeholt ins Reich, wie es hieß, und ihre Pläne änderten sich erneut.
Zunächst hatten sie als Ausweichziel die Schweiz im Sinn gehabt, wohin es zum Beispiel Bubi Putzinger, der es sich mit dem Regime schließlich doch mit seiner exzentrischen und polternden Art verscherzt hatte, schon Anfang 1937 verschlagen hatte. Auch Franz Lehár, Elisabeths früher Förderer, war dort mit seiner jüdischen Frau im Züricher Luxushotel Baur au Lac untergekommen.
Hitler aber streckte immer weiter den erstarkenden Arm aus. Die Eheleute fürchteten, dass die Schweiz noch zu nahe an den ehrgeizigen Expansionsplänen des Führers liegen könnte.
Während sie noch Ziele und Möglichkeiten abwogen, erhielt Elisabeth, die bei ihrem geschäftstüchtigen Impresario hatte anklingen lassen, dass sie für neue Angebote aufgeschlossen wäre, ein Kuvert aus feinstem Büttenpapier. Dieses barg eine Einladung für Elisabeth nach London an den Covent Garden, als Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte.
Und Gustav sagte zu Elisabeth: „Siehst du, meine Liebe. Wenn man nur lange genug wartet oder auch zögert, dann kommen die Ziele von alleine auf einen zu.“
Es stand dann fest: Sie würden Gustavs Bruder Paul folgen und nach London übersiedeln! Blieb nur die Frage: Sollten sie ihre Ausreise offiziell angehen?
* * * * *
Die Nationalsozialisten sahen es zwar gerne, wenn die deutschen jüdischen Mitbürger ihren Herrschaftsbereich verließen, aber von ihrem Vermögen sollten sie bitteschön so viel wie möglich dalassen. Den Ausreisewilligen wurden immense Judenvermögensabgaben abgeknöpft und zusätzlich eine
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