Honigtot (German Edition)
Elisabeth weihten die für ihr Alter verständige Deborah in ihre Pläne, die Heimat zu verlassen, ein. Auch, dass sie nach London in England auswandern würden.
Aber Deborah interessierte zu dem Thema nur eines, was Gustav und Elisabeth bisher überhaupt nicht bedacht hatten: „Was ist mit meiner Biene?“ Felix hatte vor drei Jahren, im gesegneten Dackelalter von sechzehn Jahren, den Weg in den Hundehimmel angetreten. Deborahs Tonfall machte klar, dass sie nicht vorhatte, ihre geliebte Biene in München zurückzulassen, obwohl die Dackeldame bei der verweilenden Ottilie sicherlich ein gutes Auskommen gehabt hätte.
Ein neuerlicher Kontakt zur britischen Botschaft wurde hergestellt, um die Bedingungen zur Einfuhr von Dackeln zu erfahren. Diese ergaben, dass Biene auf der Insel eine mehrmonatige Quarantäne erwartete, um Krankheiten und sonstige Auswüchse nicht in das Vereinigte Königreich einzuschleppen.
Das war natürlich nicht schön, vor allem nicht für Biene, aber Deborah wollte es unbedingt so und nicht anders, und damit war es beschlossene Sache.
Der Zeitpunkt stand fest: Am 12. Juni 1938 würde Gustav den Zug in Richtung Zürich in der zweiten Klasse besteigen und nach drei Stunden Fahrt die Grenze bei Lindau überqueren. Ottilie würde im selben Zug in einem Abteil der dritten Klasse Platz nehmen.
Von Zürich aus würde es für Gustav weitergehen in das französische Calais und von dort mit dem Schiff nach Dover. Sein Bruder Paul würde ihn an der Fähre abholen und ihn nach London in das Hotel Mayfair in der Stratton Street begleiten. Die Konzertdirektion des Covent Garden hatte im Mayfair für Elisabeth Malpran und ihre Kinder eine Suite bereitgestellt.
Gustav wollte seinem Bruder Paul keinesfalls zur Last fallen, der zwar relativ erfolgreich, aber wie die meisten Maler zu Lebzeiten nicht reich daran geworden war. Er und seine Frau Annabelle lebten hauptsächlich von dem Erbe seiner Eltern.
Gustav wusste noch nicht, ob er in London als Arzt zugelassen werden würde. Das konnte er erst vor Ort klären. Vorsorglich hatte er inzwischen alle vorhandenen Vermögenswerte mit Hilfe des Advokaten Meyerlinck liquidiert. Der größte Teil von Gustavs Vermögen lagerte auf einem Anderkonto der Kanzlei und würde später in mehreren und somit weniger auffälligen Summen auf ein noch zu eröffnendes Konto bei einer Londoner Bank transferiert werden. Meyerlinck hatte zusätzlich die entsprechenden Vollmachten erhalten, den Mietvertrag mit den Amerikanern zu kündigen und den Verkauf der Wohnungen und der Praxis abzuwickeln, sobald ein Anruf Gustavs dazu aus London erfolgte.
Überdies hatte Gustav veranlasst, dass der Advokat Ottilie und Bertha für ihre langen Jahre treuer Dienste jeweils eine hübsche Summe auszahlen würde. Der Doktor wollte sie gut versorgt wissen.
Elisabeth selbst würde ihren gesamten Schmuck mit auf die Reise nach London nehmen, die für den 15. Juni geplant war, zwei Tage vor Deborahs vierzehntem Geburtstag.
Wenige Tage vor der geplanten Ausreise, am 09. Juni, wurde die Münchner Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße vom Münchner Bauunternehmen Leonhard Moll abgerissen. Auf Befehl des Führers! - wie Ottilie wiederum von einem da drüben in der Prinz´ Nr. 16 erfahren hatte, und zwar „ weil den Adolf immer scho das Gebäude g´stört hat, wenn er bei seinen Stammtischbesuchen im Café Heck aus dem Fenster g´schaut hat. Und dabei hob i so g´hofft, dass a nimmer hingeht, weil der immer so g´stunken hat. Die Fürz von unserem Felix san a Dreck g´wesen gegen die seinigen. Der ist net g´sund, der Hitler!“
Und Gustav sagte zu Elisabeth: „Es ist gut, dass wir gehen. Sie beginnen ihr blindes Werk der Zerstörung. Meine Heimat stirbt.“
Und diesmal verbarg er seine Tränen nicht vor ihr.
Kapitel 17
LEKTIONEN
So wie er es auch mit seiner Tochter Deborah gehalten hatte und weiter hielt, besuchte Gustav seinen Sohn jeden Abend vor dem Schlafengehen - außer, er war zu einem Notfall abberufen worden. Als das Wolferl dann älter wurde, gab es immer auch eine spannende Geschichte oder eine Lektion für den Kleinen, und oft verband sich das eine mit dem anderem.
Der Doktor erklärte seinem Sohn von kleinauf das Prinzip von Ursache und Wirkung. Alles, was das Wolferl tat, sollte er bewusst tun und es stets auf seine Auswirkungen hin prüfen, „ denn die kleinste Handlung kann den gesamten Lauf der Welt verändern! Gott hatte die Dinge in ihrem
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