Honigtot (German Edition)
gleichzeitig war er der Verurteilte. Er glich dem Insekt, das jeden Artgenossen vor dem Licht warnte. Und weil ihm niemand glauben wollte, flog er selbst hinein und verbrannte vor ihren Augen, um ihnen die Gefährlichkeit des Lichts vor Augen zu führen. Sein Tod war umsonst, Elisabeth, sie wollen nicht sehen und sie wollen nicht hören und sie wollen noch viel weniger verstehen. Der Allmächtige helfe uns.“
Kapitel 1 4
Gustav erkannte seine Heimat in ihren extremen Auswüchsen nicht wieder. Schon als Fritz Gerlich im März 1933 misshandelt und verhaftet worden war, hatte er erstmalig erwogen, Deutschland mit seiner Familie zu verlassen.
Gustavs Bruder Paul und seine Frau Annabelle, eine französischstämmige Jüdin aus dem Elsass, hatten sich bereits vor Wochen dazu entschieden, von Nürnberg nach London überzusiedeln. Sie hatten sich dort inzwischen gut eingerichtet.
Doch das Leben, unberechenbar und eigenwillig in seinen Wendungen, hatte andere Pläne mit Gustav und Elisabeth.
Einige Tage später - Elisabeth erteilte ihrer knapp zehnjährigen Tochter Deborah gerade Klavierunterricht -, klopfte es an der Haustür. Ottilie öffnete und kurz darauf war vom Flur her deutlich Lärm zu hören.
Elisabeth befahl Deborah, die neugierig ihre Ohren spitzte, an Ort und Stelle zu verweilen, und sich weiter ihren Fingerübungen zu widmen. Dann ging sie, um selbst nach dem Rechten sehen.
Im Eingangsbereich fand sie einen ihr unbekannten Mann in arger Bedrängnis vor. Ottilie hingegen schien den Mann zu kennen. Sie war dabei, ihn tüchtig auszuschimpfen, wobei der Beklagenswerte immer tiefer Zuflucht in seinem Kragen suchte. Elisabeth bekam Mitleid mit ihm. Unter dem Arm hielt er einen kleinen Korb geklemmt, aus dem ein klägliches Wimmern drang. Felix, der Dackel, hatte sich bereits interessiert zu seinen Füßen positioniert.
„Sigst das! Jetzt host´ a no die Frau Doktor aufg´stört mit deinem Krach“, schimpfte Ottilie in breitem Bayerisch. Dabei war sie die alleinige Krawallerin. „Verschwind, du Depp. Aber schnell“, keifte sie weiter und packte den Mann ohne Umschweife am freien Arm, um ihn just zur Tür hinauszubugsieren.
„Was gibt es denn?“, erkundigte sich Elisabeth.
Der Mann hätte jetzt gerne seine Mütze für die schöne Dame gelüpft, aber er hatte keinen Arm mehr frei: „Grüß Gott, gnädige Frau. Ich möcht´ Ihnen, bittschön, das hier bringen.“ Damit hielt er Elisabeth den klagenden Korb entgegen.
Unter einem karierten Tuch schien sich etwas sehr sachte zu bewegen. Elisabeth hob das Tuch mit spitzen Fingern misstrauisch an und entdeckte drei Hundewelpen, die noch so winzig waren, dass man unmöglich Rasse oder Herkunft bestimmen konnte.
„Der Sepp, der Damische hier, sagt, die wär´n vom Felix, und sein Herr, noch so einer von dem windigen SA-Haufen, die mir meinen Hans g´stohln ham, hat ihm g´sagt, er soll ihm die Judenbrut vom Hals schaffen. Der spinnt doch“, schnaubte Ottilie.
„Töten sollt´ ich sie, die drei Kloanen. In die Isar schmeißen. Aber die sind doch reinrassig, von unserer guten Biene! Da hab ich´s nicht übers Herz ´bracht. Bittschön, verraten Sie mich nicht, gnädige Frau“, bat der Mann eindringlich, der es schließlich gut gemeint hatte, aber Elisabeth nun in die prekäre Lage brachte, eine Entscheidung fällen zu müssen.
„Guter Mann, woher wollen Sie denn wissen, dass die wirklich von unserem Felix stammen?“, startete sie einen schwachen Versuch, der Verantwortung über das Leben der Winzlinge zu entkommen. Just in diesem Augenblick erklang ein langgezogener Ton aus dem Körbchen, es roch irgendwie vertraut und Felix entfuhr ein stolzes Wuff. Elisabeth seufzte, streckte resigniert den Arm aus und sagte: „Es ist gut. Ich nehme sie.“
Deborah geriet über den Familienzuwachs völlig aus dem Häuschen, der Doktor am Abend zeigte sich weniger erfreut.
Die Welpen waren kaum drei Wochen alt und ohne die mütterliche Milch nicht überlebensfähig. Aber der herzerweichende Blick seiner Tochter ließ den Doktor das Unmögliche versuchen. Er mischte daher die zu fette Milch, die jeden Tag frisch ins Haus angeliefert wurde, mit etwas Wasser und gab noch etwas von seinem selbst hergestellten Vitaminpulver hinzu.
Die Freiwilligen, die da hießen Ottilie, Magda und Deborah, übernahmen die schwierige Aufgabe der Aufzucht der Winzlinge, denen sie die Namen Biene, Liesl und Felix II. gegeben hatten.
Liesl, von Anfang an die
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