Honigtot (German Edition)
konfrontiert, diesen neuen Sachverhalt, nämlich was die künftige Einschränkung der Ernährung seines Jüngsten betraf, seiner Frau Elisabeth beizubringen. Aber sie fand seine Verlegenheit sehr charmant und lachte herzlich darüber, dass sich der kluge Doktor von seinem kleinen Sohn hatte austricksen lassen.
Am Abend vor Gustavs Abreise hielten sich die Eheleute lange im Arm. Gustav hatte sich allerlei Gedanken gemacht und es gab viele Instruktionen für Elisabeth, aber die wichtigste darunter war, dass die ` Sicherheit der Kinder immer Vorrang vor allem hatte!´
Sie unterhielten sich bis zum Morgengrauen über ihre beiden Kinder, über Wolferls zarte Gesundheit und seinen scharfen Verstand und über Deborah, die ihnen nur Freude bereitete. „Weißt du, Gusterl“, sagte Elisabeth und schmiegte sich noch enger an ihren Gatten: „Um unsere Deborah brauchen wir uns gar nie Sorgen zu machen. Sie ist eine bezaubernde Melange von uns beiden; der Herrgott hat ihr wahrhaftig nur das Beste mitgegeben. Sie singt jetzt schon reifer als ich in ihrem Alter und spielt wesentlich besser Piano, weil sie, anders als ich, das absolute Gehör besitzt. Aber viel wichtiger ist, dass sie dabei so ernst und klug ist wie du, mein Schatzerl! Ich habe noch nie erlebt, dass sie die Fassung verliert. Ich glaube, unsere Deborah wird einmal die Welt verändern.“
Gusterl pflichtete ihr in allem bei und doch musste er auch daran denken, dass Deborah nicht nur ein absolutes Gehör besaß, sondern auch eine absolute Seele. Doch mutige Seelen lebten gefährlich in diesen Zeiten, denn eine absolute Seele schlug stets nach beiden Seiten aus: In Liebe und Hass, in Anständigkeit und Mut kannte sie kein Maß und sehr oft richtete sich der Schaden dabei gegen einen selbst.
Gustav dachte dabei an seinen tapferen Freund Fritz, der von dem braunen Sturm hinweggefegt worden war. Mit einem Mal wurde ihm kalt und er konnte fühlen, wie sich das zersetzende Gift der Vorahnung in ihm ausbreitete. Plötzlich, er wusste nicht, woher die Eingebung gerade jetzt kam, musste er an die beiden Briefe des Plinius denken, in denen er die letzten Tage von Pompeji beschrieben hatte.
Elisabeth, inzwischen seit fünfzehn Jahren mit Gustav verheiratet, spürte seine jähe Beunruhigung. Sie umarmte ihn daher mit aller Kraft, umfing ihn mit dem Pakt der Frau und Mutter und mit der Essenz aus Liebe und Hoffnung.
Ihre Zuversicht flößte Gustav die nötige Stärke ein, die zweifelnden Gedanken zu vertreiben. Und er klammerte sich an einen Satz des Plinius-Briefs: „Den Tapferen hilft das Glück!“ Bloß, dass sich Gustav gar nicht tapfer fühlte.
Am nächsten Morgen waren alle gleichermaßen aufgeregt wie bedrückt. Elisabeth konnte am Mittag Gustav nicht zum Bahnhof begleiten. Elisabeth, die berühmte Sängerin, hätte erkannt werden können und sie wollten jedes Aufsehen vermeiden. Daher fand die Verabschiedung unter vielen Umarmungen und Tränen, Ermahnungen und Schwüren am Prinzregentenplatz statt und dann war Gustav fort.
Am frühen Abend brachte Elisabeth den kleinen Wolferl zu Bett, nachdem sie ihm ungefähr zum gefühlten zwanzigsten Mal die Geschichte vom edlen Winnetou vorgelesen hatte. Sie schlug das Buch zu, küsste den Kleinen auf die Stirn und sagte wie immer: „Schlaf schön und träume von den Sternen.“
Aber der Kleine wollte nicht schlafen, sondern fragte: „Mama, warum ist Papa ein Jude geworden? Er hat doch nichts Böses getan, oder?“ Und Elisabeth, die ohnehin auf dem umtosten Plateau der Sorge kauerte, wurde beinahe davon hinuntergeblasen, derart flau wurde ihr im Magen. Doch sie fing sich und antwortete: „Nein, mein Spatzerl, natürlich nicht. Wie kommst du bloß darauf?“
„Ottilie sagt, dass die Juden verfolgt und eingesperrt werden. Und das macht man doch nur mit bösen Menschen, oder?“
„Ottilie hat dir das nicht richtig erklärt. Die Juden sind, ebenso wie dein Papa, gute Menschen, die aber immer schon von bösen Menschen verfolgt wurden.“ Elisabeth war auf die Schnelle nichts Besseres eingefallen, belegte aber in Gedanken Ottilie mit einer Verwünschung. Das Wolferl fragte denn prompt: „Wie wird man ein Jude, Mama?“
„Man wird als Jude geboren, Wolferl.“
„Wenn die Juden aber gut sind wie Papa, warum sind dann die Menschen böse zu ihnen?“
„Weil die Menschen, die böse sind, immer auch dumm sind und deshalb gar nicht wissen, was sie tun.“
„Das sind die letzten Worte Jesu“, erwiderte
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