Honigtot (German Edition)
Großvater seines Vaters hatte es als persönlicher Bankier von König Max I. von Bayern zu Ruhm und Ehre gebracht. Der König hatte dem Urgroßvater daraufhin für dessen Verdienste die Bürgerrechte verliehen.
Umso bitterer war die Pille für Gustav, ganz plötzlich zu einer unerwünschten Person im eigenen Land geworden zu sein. Nur weil die neue politische Führung die Israeliten zu Aussätzigen der Gesellschaft, zu Untermenschen ohne staatsbürgerliche Rechte erklärt hatte.
Gustav selbst sah sich weniger als ein Angehöriger des Volksstammes der Juden, vielmehr fühlte er sich als deutscher Weltenbürger. Gustav interessierte sich sehr für Geschichte und Religionen, vor allem aber beschäftigten ihn deren Auswirkungen auf die Menschheit insgesamt. Gott verstand er mehr als eine Art universeller Größe, erkannte in ihm die Potenz und den Antrieb für ein gutes Gewissen, welches die Menschen zu guten Gedanken und guten Handlungen anleiten sollte.
Weil dem Menschen die Gabe der Freiheit der Gedanken gegeben wurde, hielt Gustav jede von Menschenhand geschaffene Religion für Anmaßung, und zwar, weil sie das selbständige Denken einschränkte und beeinflusste und den Menschen manipulierte – und Gottes Gedanken und Handlungen aus Eigennutz zu interpretieren suchte. Zwar hielt Gustav alle Religionen an sich für gut und friedlich. Leider aber wusste er auch, dass der Mensch selbst nicht friedlich war. Daraus resultierte seine Meinung, dass alle Religionen im Sinne des ursprünglichen Stifters nicht funktionieren konnten - eben weil Menschen sie ausübten.
Elisabeth und Deborah erklärte er: „Nur weil einige Bücher und Glaubensrichtungen weitere Verbreitung gefunden und sich besser innerhalb der Völker etabliert haben, als unzählige andere, die mir im Übrigen nach gründlichem Studium weder besser noch schlechter dünken, bedeutet dies keinesfalls, dass sie wahrhaftiger oder heilbringender wären. Vielmehr ziehen sie ihre errungene Bedeutung aus der einfachen Tatsache, dass ihre Vertreter mit mehr Geschick, Raffinesse und leider auch mit Zwang und Gewalt in ihren Missionierungs-Methoden vorgegangen sind. Das deutsche Volk ist ein bezeichnendes Beispiel für eben diese Form der Propaganda: Auch wenn Millionen Kehlen in jubelnde `Heil-Rufe´ ausbrechen, so entsteht aus Unrecht noch lange kein Recht der Masse. “
Für sich selbst fand Gustav ausreichend Spiritualität in seiner Liebe zu seiner Familie und zu seiner Arbeit. Seine Überzeugung über alles Sein und alles Wirken war im Grunde auf eine einzige Formel zu bringen – so wie es Emmanuel Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft formuliert hat: „Handle nur nach derjenigen Maxime , durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Diese Redewendung war natürlich harter Tobak für seinen kleinen, kaum fünfjährigen Sohn Wolferl, wenn schon die Erwachsenen darauf herumkauen mussten. Aber der Reformator Luther hatte es mit simplen Worten schon früher in der Bibel übersetzt und im Volksmund hatte sie sich als `Goldene Regel´ eingebürgert: Was du nicht willst, dass man dir tu', das füg auch keinem andern zu.
Wolferl hatte die Augen zusammengekniffen und die goldene Regel sehr lange mit seinen Gedanken geknetet, sie auf Ursache und Wirkung geprüft, wie sein Vater es ihn gelehrt hatte. Plötzlich hatte er keck das schmale Gesichtchen gehoben und über einige Zahnlücken hinweg seinen Vater angegrinst: „Heißt das, dass ich jetzt keine Suppe mehr essen muss?“
Da hatte er den Doktor aber ganz schön verblüfft, ihm sozusagen in die Suppe gespuckt, wie Bertha, die Brabbelnde.
Dieser kleine ausgefuchste Schlaumeier , dachte der Doktor stolz. Er konnte kaum fassen, wie sein Wolferl fast nebenbei auf die einzig mögliche negative Auslegungsweise gestoßen war, worüber die Philosophen des Abendlandes ganze Abhandlungen verfasst hatten!
Auch wenn des Wolferls Frage bereits die Lösung in sich trug, so wollte der Vater doch erfahren, wie der Junge dies denn begründen würde. Daher fragte er ihn: „Sag, wie kommst du denn bloß darauf, Wolferl?“
Und der Kleine antwortete ihm: „Du magst doch kein Fleisch essen Papa, nicht wahr? Und keiner zwingt dich dazu. Aber ich muss immer schön meine Suppe aufessen. Jetzt muss ich sie aber nicht mehr essen, oder Papa?“
Das war wirklich eine sehr gute Lektion heute Abend - vom Sohn für den Vater … Im Resultat sah sich Gustav dann noch mit der unangenehmen Aufgabe
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