Honigtot (German Edition)
der Applaus über sie hinwegbrandete, kam sie sich vor wie ein bröckelnder Turm aus Sand, den allein der Gedanke an den Schutz ihrer Kinder aufrecht hielt.
Sah sie dann ihre Zuhörer, die neue Herrschaft in ihren Galauniformen, Seite an Seite mit ihren juwelengeschmückten Damen, dann musste sie an sich halten, um ihnen nicht ihre Qual entgegenzuschreien: „ Was habt ihr meinem Gustav angetan?“
Nach außen hin gab sie weiter den schönen und strahlenden Opernstar, trat in Berlin, Hamburg und Wien auf, und seit langem wieder einmal in München.
Sie musste sich dort von dem ihr verhassten Heinrich Himmler als „liebe gnädige Frau“ die Hand küssen lassen. In seiner Gegenwart konnte sie sich des Verdachts nicht erwehren, dass er bei dem Verschwinden ihres Mannes die Hand im Spiel gehabt hatte.
Anschließend war sie von Himmler zu einem Gala-Essen geladen worden, an dem sie zu seiner Rechten präsidieren durfte und deshalb den ganzen Abend über an einem Würgereiz litt und keinen Bissen hinunterbrachte.
Auch Herr Brunnmann lud sie zweimal, allerdings in einem privateren Rahmen, zu einem Souper ein. Und obwohl er sich ihr gegenüber nach wie vor sehr zurückhaltend gab, beinahe mit nüchterner Geschäftsmäßigkeit auftrat, auf die selbst eine weniger reizvolle Frau wie Elisabeth leicht irritiert reagiert hätte, glaubte sie seit der Rückgabe des Rings eine leichte Wandlung in seinem Benehmen wahrgenommen zu haben. Doch jedes Mal, wenn sie sich trennten und er sich mit selbstverständlicher Gelassenheit von ihr verabschiedete, dachte Elisabeth, sich doch getäuscht zu haben.
Jedoch allein die Tatsache, dass sie sich überhaupt mit dieser Frage beschäftigte, zeigte, dass sie sich nicht vollständig irren konnte. Je mehr sie sich mit seinem Verhalten befasste, desto mehr glaubte sie in seiner Haltung eine Art unausgesprochene Erwartung zu entdecken. Elisabeth fragte sich, ob er sich mehr von ihr erhoffte als nur tiefe Dankbarkeit für die Errettung ihrer Kinder?
Ihre innere Anspannung überstieg bald das Maß des Erträglichen. Sie schlief noch weniger, vergaß zu essen, reiste und arbeitete viel und fühlte sich zunehmend müde. Ihre Stimme und Konzentration litten darunter. Mehr und mehr glich ihre Müdigkeit einer Form der geistigen Erschöpfung, als könnte sie künftige Bürden bereits erahnen.
Eines Nachts, sie war gerade erst aus Wien zurückgekehrt und wälzte sich wie in letzter Zeit oft unruhig in ihrem Bett, da träumte sie einmal mehr von Gustav, der auf sie zulief, sich aber plötzlich in Albrecht Brunnmann verwandelte. Sie wachte auf und fühlte sich verwirrt und desorientiert. Sie benötigte eine Weile, um sich wieder zurechtzufinden und ihre Gedanken neu zu stimmen, die in allen Tonlagen in ihrem Kopf vibrierten.
Und ganz plötzlich, in einer ausschließlichen Selbsterkenntnis, die wie eine Inspiration über sie kam, fragte sie sich, ob das Problem weniger an Herrn Brunnmann lag, sondern vielmehr an ihr? Konnte es vielleicht sein, dass sie selbst sich mehr von ihm erwartete als er sich von ihr?
Elisabeth war eine leidenschaftliche Frau und Künstlerin - sie hatte die Seele der Liebe und den Rausch der Sehnsüchte oft genug auf der Bühne verkörpert. Sie wusste um die Begierden und die fleischliche Lust menschlicher Körper, gleich ob Mann oder Frau, denn sie selbst hatte sie am eigenen Leib mit ihrem Gustav erfahren dürfen.
Elisabeth überlegte weiter, dass die Bedürfnisse der Frau weder erstrebenswert noch erwünscht waren, sie wurden auf ihre Aufgaben in Heim und am Herd beschränkt. Vor allem war die ideale Frau der Nazi-Ideologie auf die Pflichten der Mutterschaft reduziert worden, nämlich dem Führer Söhne zu gebären, mit denen er dann das gierige Maul des Krieges stopfen konnte.
Elisabeth gestand sich ein, wie sehr sie sich nach Gustav sehnte, der nun seit fünfzehn Monaten verschollen war, und dass sie nicht allein seinen klugen Geist vermisste, sondern ihr Körper auch den Mann und seine Berührungen.
Weil sie aber Frau genug war und vielleicht auch, weil dies eine abgeschwächte Form der eigenen Bedürfnisse, und somit weniger Verrat an Gustav war, setzte sie sich ehrlich damit auseinander. Sie fragte sich deshalb auch, ob sich nicht unbewusst auch ihre Eitelkeit als Frau darüber ärgerte, dass Herr Albrecht Brunnmann der einzige Mann in ihrer Umgebung schien, der ihr niemals echte Avancen gemacht hatte?
Auf jeden Fall ließen sie ihre Selbstbetrachtungen nicht
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