Honigtot (German Edition)
weniger verwirrt und ratlos zurück als zuvor. Elisabeth konnte lange nicht mehr einschlafen.
Doch als Herr Brunnmann das nächste Mal in München weilte und sie neuerlich einlud, da täuschte sie eine Migräne vor und war froh, dass er sie nicht weiter drängte.
Kapitel 2 7
Im Juli gab es die nächste Aufregung.
Elisabeth weilte in Berlin, Deborah war in der Gesangsstunde und Ottilie mit Magda auf dem Viktualienmarkt unterwegs.
Da beschloss der kleine Wolfgang, dass er mit der Dackeldame Biene alleine spazieren gehen wollte. Bertha, die eigentlich auf ihn hätte aufpassen sollen, schlief mit offenem Mund auf der Ofenbank in der Küche.
Das tat sie in letzter Zeit oft, wie sie überhaupt sehr dösig geworden war, und Ottilie meinte zu Magda: „Bald schläft uns die Bertha mitten im Kochen ein und landet dann selbst im Topf. Wirst schon sehen!“
Magda und Ottilie kehrten mit vollen Körben zurück und bemerkten gleich, dass das Wolferl und die Biene verschwunden waren. Die umsichtige Magda hielt es für keine gute Idee, die Münchner Polizei einzuschalten.
Daher schwärmten sie und Ottilie - gemeinsam mit der zurückgekehrten Deborah - aus. Den Wolfgang hatten sie, Gott sei Dank, bald gefunden. Er war ganz verstört, denn so wie er der Köchin Bertha entwischt war, war ihm die pfiffige Biene entwischt. Sie suchten bis zum Abend nach ihr, doch die Dackeldame blieb verschollen. Das Wolferl weinte herzerweichend und Deborah konnte ihm nicht richtig böse sein, aber Bertha bekam so einiges zu hören.
Zu ihrer aller Freude wartete Biene am nächsten Morgen vor der Tür. Sie war putzmunter und vertilgte auch gleich den von der reuigen Bertha mit Leckereien gefüllten Napf. Biene hatte ihr nächtliches Abenteuer augenscheinlich genossen.
Zwei Wochen später, Elisabeth hatte des Geldes wegen eine zehntägige, aufreibende Konzerttortur durch drei Städte hinter sich gebracht, tauchte Herr Albrecht Brunnmann erneut unangemeldet am Prinzregentenplatz auf.
Elisabeth gab sich alle Mühe, der ihm geschuldeten Höflichkeit nachzukommen. Aber Herr Brunnmann, dem man sicher einige Tugenden nachsagen konnte, aber wenig Sensibilität, begriff trotzdem, dass Frau Malpran seinen Besuch mehr wie eine Pflicht denn als Kür absolvierte, und verabschiedete sich bald.
Elisabeth hatte für ihren nächsten Anlauf, das Deutsche Reich zu verlassen, einen Tag im September gewählt. Sie wollte sich jedoch erst im letztmöglichen Moment für den genauen Tag entscheiden, beinahe als ob sie fürchtete, dass die Nationalsozialisten inzwischen Gedanken lesen konnten.
Auch Deborah oder Magda sollten frühestens am Abend vorher informiert werden, um sich durch keine unbewusste Handlung oder Äußerung verraten zu können.
* * * * *
Am 01. September 1939 kehrte Ottilie mit leerem Korb vom Markt zurück. Sie war völlig aufgelöst und fiel daher in ihr breitestes Bayrisch zurück:
„Jessas, gnädige Frau, mir san im Krieg, wie´s der arme Doktor immer g´sagt hat! Kein Wunder, dass die ihr Parteihaus Braunes Hau s nennen. A Scheißhaus is des! Dene hams doch ins Hirn gschi…“
„Ottilie, bitte mäßigen Sie sich. Das Wolferl!“, unterbrach Elisabeth ihren mit Spezialitäten gespickten Monolog. Dabei konnte sie Ottilies Aufregung gut nachvollziehen.
Sowohl Ottilies Vater als auch ihr älterer Bruder waren im Ersten Weltkrieg gefallen und ihr Hans war jetzt Soldat. Die Mahnung aber kam zu spät für das aufgeweckte Wolferl. Er hüpfte schon im Kreis umher und schrie ekstatisch: „Braunes Haus, Scheißhaus, braunes Haus, Scheißhaus …“
Ottilie verkrümelte sich mit hochrot eingezogenem Kopf. Elisabeth hatte sogleich ein ernsthaftes Gespräch mit ihrem Sohn, denn diese Worte durfte er auf keinen Fall vor den falschen Ohren wiederholen. Dabei ist es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, einem Sechsjährigen zu erklären, dass es keine Freiheit der Meinung mehr gab und es klappte auch nur unter Strafandrohung und ohne Einsicht.
Elisabeth schaltete danach den Rundfunkempfänger ein und lauschte Hitlers Kriegsrechtfertigungs-Rede vor dem Reichstag:
„ Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen. Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten.“
Elisabeth erinnerte sich gut, wie Gustav ihr gesagt hatte, dass im Krieg weder Recht noch Wahrheit herrschte . Sie
Weitere Kostenlose Bücher