Honigtot (German Edition)
und ruhigen Erscheinung in gewisser Weise an Deborahs Vater.
Herr Brunnmann selbst behandelte Elisabeth wie ein vollendeter Kavalier, mit ausgesuchter Höflichkeit und offenkundigem Besitzerstolz.
Trotzdem aber hatte für Deborah die neue Ehe ihrer Mutter etwas Verstörendes an sich: Niemals konnte sie - von einem Handkuss abgesehen, beobachten, dass die beiden Zärtlichkeiten miteinander austauschten.
Ihre Mutter und ihr Vater hingegen hatten ihre Liebe und ihre gegenseitige Bezauberung offen gezeigt. Solange Deborah zurückdenken konnte, gab es zwischen ihnen geheimes Geflüster und intensive Blicke.
Sie hatte immer von einer solchen Liebe für sich selbst geträumt. Sie wusste, eines Tages würde sie ihr begegnen.
Kapitel 3 0
Deborah sann nicht nur über die beiden als Ehepaar nach, sondern sie beschäftigte sich ebenso häufig mit der Person des Herrn Brunnmann selbst. Seit sie ihn kannte, überlegte sie, ob sie ihn mochte oder ob sie Angst vor ihm hatte. Oft folgte das eine unmittelbar auf das andere.
Auf der Habenseite stand, dass er sie und ihren Bruder bereits zweimal gerettet hatte.
Mit der Angst hingegen verhielt es sich weitaus komplizierter. Sie war einfach manchmal da, ebenso wie ihr Hass. Von einer Minute auf die andere wurde sie von einer jähen destruktiven Anwandlung erfasst, die rasch in die Agonie des Hasses umschlagen konnte. Doch gegen wen sollte sie diesen Hass richten? Ihre Pein war abstrakt.
Lange Zeit versuchte sie dagegen anzugehen, doch das verstärkte nur ihre Wut und Aggressionen und den Drang, irgendetwas zu zerstören, und wenn es nur ihre alte Puppe war. Eines Tages entdeckte sie dann eher zufällig, wie sie sich Linderung verschaffen konnte: indem sie sich selbst verletzte. Heimlich begann sie, sich Schnitte an den Innenseiten ihrer Unterarme zuzufügen.
Mit seltsamer Befriedigung beobachtete sie dann, wie das Blut aus ihren Wunden sickerte. Die roten Rinnsale krochen wie kleine, sich windende Schlangen über ihre weiße Haut. Deborah genoss das süße Aufatmen ihrer Seele. Endlich, endlich hatte sie ein Ventil für ihren brennenden Hass gefunden.
Nachts, wenn sie, wie so oft, wach lag, dachte sie oft darüber nach, wie viele verschiedene Dimensionen des Schmerzes es auf der Welt wohl geben mochte. Existierten darin ebenso viele Dimensionen der Liebe? Konnte sich die Liebe auch im Schmerz erfüllen oder war Schmerz nur der Tribut an den Hass?
Eine neue Köchin und ein neues Dienstmädchen kamen auf Geheiß des Herrn Brunnmann ins Haus. Aber es war nicht mehr die vertraute Gemeinschaft wie zuvor. Die beiden waren so, wie man gute Deutsche definierte: linientreu.
Deborah wurde das Gefühl nie los, dass sie fortan die Wohnung mit zwei weiblichen Spionen teilten.
* * * * *
Im Juni 1940 erreichte Hitler den Höhepunkt seiner kriegerischen Macht: Nach Polen hatte er erfolgreich Dänemark, Norwegen, Belgien und Luxemburg besetzt und den Frankreich-Feldzug gewonnen. Er hatte die Kapitulation Frankreichs in demselben Eisenbahnwaggon - der dazu extra aus dem Museum gehievt worden war - entgegengenommen, in dem die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg durch die Siegermächte besiegelt worden war.
Ihre Mutter, die seit dem Verschwinden ihres Vaters aufmerksam die Tageszeitung studierte, hatte es Deborah vorgelesen. Deborah fand, dass dieser Führer ein ebenso kleinlicher wie rachsüchtiger Mann sein musste.
Der Wermutstropfen in der Kriegssuppe blieben die Briten, die der Hitler-Diktatur am 03. September 1939 den Krieg erklärt hatten. Ihr Premier Churchill hatte früher als andere europäische und transatlantische, zögerliche Politiker, die ihren Isolationismus pflegten, die Gefährlichkeit und die Machtgelüste des deutschen Führers und seiner nibelungentreuen Gefolgsleute erkannt und seine Absichten begriffen.
Dabei hatte Hitler diese in der 1924 veröffentlichten Chronik eines Wahnsinnigen, `Mein Kampf´, ausführlich und für alle Welt käuflich, dargelegt. Ein millionenfach verkauftes Buch, bloß schien es irgendwie kaum jemand gelesen zu haben.
Ottilie kehrte ebenfalls bald darauf an den Prinzregentenplatz zurück. Ihr Mann Hans war auf dem Polen-Feldzug für Führer und Vaterland gefallen.
Elisabeth setzte in einem kurzen Aufflackern früherer Tatkraft bei Herrn Brunnmann durch, dass Ottilie wieder eingestellt wurde, dafür aber das neue Hausmädchen gehen musste.
Ottilie wurde von Elisabeth, Deborah und dem Wolferl, der
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