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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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sich Dank rührender Fürsorge wieder erholt hatte, wie ein verlorenes Familienmitglied begrüßt.

 
     

    Kapitel 3 1
     
     
    DER EINZIGE TOD
     
    Der Mensch trägt im Leben viele Wunden davon. Die schlimmsten sind jene, die nicht sichtbar werden, weil sie im Inneren der Seele verschlossen bleiben - wie jene Wunden, unter denen Deborah litt.
    Auch Ottilie litt, und vieles von ihrem Leid war nach außen hin sichtbar: Das vormals so propere Hausmädchen war erschreckend abgemagert und ihre einst roten Wangen blass und verdorrt wie eine Winterfrucht. Sie weinte viel, der geringste Anlass genügte. Ein scharfes Wort der neuen Köchin: ein Wasserfall; ein abgerissener Knopf: eine Tragödie mit Weinkrampf. Jetzt zeigte sich, dass Hans' blinde Gefolgschaft und seine bedingungslose Liebe die Eckpfeiler gebildet hatten, auf denen Ottilies Stärke ruhte.
    Weil ihr dieses Fundament nun fehlte, wurde sie in sich selbst instabil und ihre Persönlichkeit begann zu verblassen: Wo früher Beherztheit geherrscht hatte, bestimmte jetzt Zögern; wo sich einmal treffsicherer Spott fand, dümpelte jetzt stille Resignation; wo früher Ordnungsliebe gewaltet hatte, war jetzt Nachlässigkeit; wo früher Stärke war, war jetzt Schwäche. Es brauchte Monate und viel Geduld, bis Ottilie ihre Trauer in den Griff bekam und ihre legendäre Ordnungsliebe wieder erwachte.
     
    Die ganze Familie empfand es als angenehm, dass Herr Brunnmann fast ununterbrochen auf Reisen weilte und nur zu kurzen Stippvisiten nach Hause kam. Dabei war sich Deborah sicher, dass ihn die neue Köchin fleißig über alle häuslichen Vorkommnisse auf dem Laufenden hielt.
    Elisabeth verbrachte nun die meiste Zeit zuhause bei ihren Kindern. Nur noch selten nahm sie Engagements wahr, denn ihre Gesundheit war seit jener Nacht im September noch labiler geworden. Ihre zarte Schönheit wirkte fragiler denn je und ihre Haut war beinahe durchsichtig.
    Auch hatte ihre Seele kaum weniger Schaden genommen als jene ihrer Kinder. Ähnlich einem in die Enge getriebenen Tier schreckte sie bei unerwarteten Geräuschen zusammen.
    Die Bewohner am Prinzregentenplatz machten es sich daher bald zur Angewohnheit, alle ihre Verrichtungen möglichst geräuschlos zu erledigen, bedächtig aufzutreten und leise zu sprechen.
    Vielleicht hatte Deborah darum, wann immer sie an jene Zeit zurückdachte, stets das Gefühl, dass das Leben in seinen Konturen irgendwie gedämpfter gewesen war.
     
    * * * * *
     
    Immer häufiger litt Elisabeth nun unter fiebrigen Infekten und ihre Rekonvaleszenzen dauerten von Mal zu Mal länger.
    Anfang 1941 erkrankte sie dann erneut und Dr. Strelitz diagnostizierte eine Lungenentzündung. Es dauerte fast drei Monate, bis sie wieder auf den Beinen war. Ihre einmalige Stimme hatte unter den gesundheitlichen Strapazen gelitten und an früherer Stärke verloren.
    Fortan würde Elisabeth niemals wieder öffentlich auftreten und nur noch im privaten Kreis singen.
    Ihre größte Freude aber war es, wenn sie gemeinsam mit Deborah musizieren konnte. So oft es ihre empfindliche Gesundheit zuließ, gab sie ihrer begabten Tochter Gesangs- und Klavierunterricht.
    Deborah war gerade sechzehn, aber ihre Stimme, ein lyrischer Sopran, sehr vielversprechend und volltönend, mit silbernem Timbre. Mühelos verband sie Eleganz mit Intensität, dies bestätigte Elisabeth der Gesangspädagoge am Münchner Konservatorium, das erst im Jahre 1927 gegründet worden war und das Deborah jetzt täglich besuchte.
    Neben dem Opernfach der Sopranistin studierte sie dort auch Piano in der Meisterklasse. Elisabeth war so stolz gewesen, als man ihr bei einem Besuch des Konservatoriums versicherte, dass das Talent ihrer Tochter Deborah bei entsprechender Konzentration auch für eine Pianisten-Karriere ausreichen würde. Doch Deborah wusste schon seit langem, dass sie wie ihre Mutter Opernsängerin werden wollte.
     
    Die öffentliche Schule besuchten weder Deborah noch Wolfgang. Auf Wunsch von Herrn Brunnmann erhielten die Kinder zuhause privaten Unterricht.

 
     

    Kapitel 3 2
     
     
    Am Hochzeitstag hatte die Familie auch den älteren Bruder von Herrn Brunnmann kennengelernt, Leopold. Er war für sie eine echte Überraschung und Deborah fand, dass er überhaupt das Beste an der Heirat ihrer Mutter war.
    Bei Leopold handelte es sich tatsächlich um einen waschechten katholischen Priester. Er war acht Jahre älter als Albrecht. Die beiden Brüder sahen sich zwar rein optisch sehr ähnlich, waren aber

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