Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
Vom Netzwerk:
Mutter und Elisabeth schwelgte dann in ihren Erinnerungen. Sie erzählte Deborah wie sie damals ihren Vater Gustav kennengelernt hatte, wie sie sich gleich in ihn verliebt hatte und er schon am dritten Tag um ihre Hand angehalten hatte. Sie schwärmte von ihren Flitterwochen an der rauen Ostsee, aber vor allem von der gemeinsamen, glücklichen Arche-Noah-Zeit. Am Ende sprach sie fast ausschließlich von Gustav, ihrem Mann, als hätte sie vergessen, dass sie jetzt mit Albrecht Brunnmann verheiratet war. Abends, allein in ihrem Zimmer, hielt Deborah alles Gehörte in ihrem Tagebuch fest. Ebenso wie ihre Mutter wollte sie sich immer daran erinnern, wer ihr Vater gewesen war.
    Elisabeth leistete erbitterten Widerstand, aber sie verzehrte sich zunehmend in ihrem Kampf und wurde mit den Monaten immer schwächer.
    An einem Januartag, dem 19. im Jahr 1942, als zarte Schneeflocken wie Himmelsflaum zur Erde schwebten, tat sie ihren letzten Atemzug.
    Deborah war bei ihr, ebenso Leopold und auch Dr. Strelitz. Nur Herr Brunnmann schaffte es nicht mehr rechtzeitig. Er weilte seit Mitte Januar wegen einer wichtigen Konferenz in Berlin am Wannsee und war dort als Protokollführer unabkömmlich.
    Deborah, die ihrer Mutter nicht von der Seite gewichen war und sich am Ende Tag und Nacht um sie gekümmert hatte, blieb stumpf und verwirrt über ihre eigenen Gefühle zurück.
    Bei Bienes Tod war sie eher wütend gewesen, nun fühlte sie diese grausame Kälte in sich, als hätte der Tod ihrer Mutter ihr alle Wärme entzogen. Sie wollte weinen, aber sie konnte ihre Tränen nicht finden. Ihr Herz war taub und ihre Seele erstarrt. Am Abend sperrte sich Deborah in ihr Zimmer ein und am nächsten Morgen verbarg ein schwarzer Pullover die vielen neuen Schnitte an ihren Armen.
    Auch Wolfgang weinte nicht. Er war wieder in seiner eigenen, tiefen Stille versunken, wie damals, als man sie abgeholt hatte und Magda verschwunden war.
     
    Leopold Brunnmann, dieses Geschenk des Himmels, kümmerte sich um alles, tröstete das verstörte Wolferl - der von allen zeitweilig vergessen worden war - und plante und organisierte Elisabeths Trauerfeier.
     
    * * * * *
     
    Der Tag von Elisabeths Beisetzung brach mit klirrender Kälte an.
    Künstler, Dirigenten, Intendanten und glanzvolle Uniformen in pelztragender Damenbegleitung erschienen zu Elisabeths letztem Geleit.
    Deborah stand an der Seite des Witwers, Herrn Brunnmann, der erst am Morgen angereist war, ihren Bruder fest an ihrer rechten Hand.
    Sie ließ die lange Zeremonie mit ihren Trauerreden mit starrer Würde über sich ergehen, obwohl sie eine heftige Abneigung gegen die vielen unbekannten Menschen ergriffen hatte, die alle etwas zu ihrer Mutter zu sagen hatten. Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicher, als sich endlich in ihrem Zimmer einschließen und ihren Schmerz erneut mit dem Messer betäuben zu können. Sie wollte alleine sein, so allein, wie sie sich fühlte - von allen verlassen; erst von ihrem Vater und jetzt auch von ihrer Mutter.
     
    Das Defilee der Unerwünschten zog endlos an ihr vorüber. Deborah fühlte sich durch die vielen Blicke belästigt. In den Augen der Männer glomm ein seltsamer Funke und in jenen der Damen fand sich wenig Mitleid, dafür viel Neid.
    Sie sah, wie die Münder belanglose Worte formten und dabei Atemwölkchen absonderten, die sich in der kalten Luft verloren. Voller Inbrunst wünschte sich Deborah, dass sich diese Menschen ebenso in der Luft auflösen würden wie ihr Atem.
     
    Trotzdem wurde es ein schöner und ergreifender Abschied. Elisabeth trat ihre letzte Reise auf einem bunten Blumenmeer an, so wie sie es sich gewünscht hatte. Auf ihrer Grabplatte stand eine runde Schale, die immer mit frischem Wasser gefüllt wurde.
    Auf einem kleinen Schild stand da zu lesen:
     
    `Auf meinem Grab ein kleines Becken, an das die Vögelein zum Trinken und Singen kommen werden.´

 
     

    Teil 4
    ____
     
    Maria

 
     

    Kapitel 3 3
     
     
    Es ist eine Merkwürdigkeit des Lebens, dass dem Menschen fast immer bewusst ist, wenn er dem Guten begegnet, während der Instinkt dem Bösen gegenüber fast ausschließlich versagt.
    Liegt die Erklärung vielleicht darin, dass sich einem die Kraft des Guten ohne Falschheit offenbart, um die Substanz der Anständigkeit mit jedem zu teilen, während sich einem das Böse heuchlerisch nähert, einen mit List und Tücke umgarnt, bis man zu spät oder gar nie bemerkt, dass man sich in dessen Netz hoffnungslos verfangen hat?
     
    * *

Weitere Kostenlose Bücher