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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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letzte Einladung abgelehnt und ihn durch ihr abweisendes Benehmen mehr oder weniger aus der Wohnung hinauskomplimentiert hatte.
     
    * * * * *
     
    Über die Dächer Münchens kletterte bereits der neue Tag herauf, als Elisabeth völlig erschlagen von Neuschwanstein zurückkehrte. Herr Brunnmann hatte Elisabeth angeboten, sie mit seinem Wagen nach Hause zu begleiten, und sie hatte für dieses Mal seine Freundlichkeit nicht ausgeschlagen.
    Dankbar notierte sie, dass Herr Brunnmann keinen Wert auf eine Konversation zu legen schien, sondern stumm neben ihr im Fond des Wagens saß. Erleichtert überließ sie sich dem weichen Polster.
    Elisabeth genoss die Stille zwischen Tag und Nacht, zwischen Tod und Geburt, widerstand aber der verlockenden Versuchung, ihre Augen zu schließen. Sie wusste, dass sie sich bei der Ankunft nicht ausruhen konnte, sondern die Aufgabe wartete, Biene und die Welpen am Morgen nach Freising zu Ottilie zu bringen.
    Um nicht einzuschlafen, versuchte Elisabeth die Lieder, die sie heute dargebracht hatte, zu rekapitulieren, aber der Abend schien für sie in diffuser Unwirklichkeit versunken zu sein, als hätte sie ihn nicht selbst erlebt. Sie hätte dieses seltsame Gefühl ebenso wenig zu beschreiben vermocht, wie es für die seelenlose Farbe einen Namen gab, in die die geisterhafte Stadt zu dieser Stunde getaucht wurde. Möglich, dass es die Melancholie des bevorstehenden Abschieds war, die von ihr Besitz ergriffen hatte.
    Bereits bevor der Wagen von Herrn Brunnmann am Prinzregentenplatz 10 hielt, überkam Elisabeth eine merkwürdige Vorahnung, dass etwas nicht stimmte. Es war schon öfters vorgekommen, dass sie erst in den frühen Morgenstunden von ihrer Arbeit heimkehrte, darum benötigte sie einen Augenblick, bis sie begriff, was dieses Empfinden bei ihr ausgelöst hatte: Es war das Licht. Niemals hatte sie zu um diese Zeit so viel Licht in den Fenstern der umliegenden Häuser bemerkt. Was konnte es sein, das die Menschen zu so früher Stunde aufgestört hatte?
    Ohne sich von Herrn Brunnmann zu verabschieden, geschweige denn abzuwarten, bis der Chauffeur ihr den Schlag geöffnet hätte, stürzte sie aus dem Wagen, schloss das untere Eingangsportal auf und rannte die vier Stockwerke nach oben. Sie fand die beiden Flügel ihrer Haustür weit geöffnet und erstarrte dann in namenlosem Entsetzen:
    Nie zuvor hatte sie etwas Furchtbareres und Grausameres erblickt: Biene lag tot in ihrem eigenen Blut im Flur und die blinden Welpen waren zu ihr gekrochen, nuckelten an ihren kalten Zitzen und stießen dabei herzzerreißende Fieptöne aus.
    Elisabeths Schrei hatte nichts Menschliches mehr an sich. Wie von Sinnen hetzte sie durch alle Räume, unablässig nach Deborah und Wolfgang und Magda rufend, aber niemand antwortete ihr. Nur das klagende Rufen der mutterlosen Welpen erklang in der leeren Stille.
    Und das, was einmal das Geschöpf Elisabeth ausgemacht hatte, zerbrach, und ihr Mut und ihre Kraft vergingen in der dunklen Verzweiflung einer Mutter, die ihre Kinder nicht hatte beschützen können.
    Herr Brunnmann fing Elisabeths zarte Gestalt gerade noch rechtzeitig auf, bevor sie ohnmächtig zu Boden sank.

 
     

    Kapitel 29
     
     
    Erst sehr viel später vermochte Deborah den Ablauf der Geschehnisse dieser furchtbaren Nacht zu schildern und ihrem Tagebuch anzuvertrauen: Das Poltern an der Tür, Magdas Widerstand, Bienes Tod, der Abtransport in einem engen Güterwaggon - zusammengepfercht mit unzähligen anderen, jammervollen Gestalten.
     
    Sie kamen gegen neun Uhr abends, Männer in schwarzen SS-Uniformen. Wir konnten sie schon lange vorher hören, mit ihren schweren Stiefeln stürmten sie die Treppe herauf. Ich sah, wie Magda neben mir ganz blass wurde und sich ans Herz fasste. Sicher dachte sie daran, was sie in Stuttgart erlebt hatte. Aber sie ist die mutigste Frau, die man sich vorstellen kann, und sie öffnete ihnen die Tür, während sie zu mir sagte: „Bevor sie sie uns noch zertrümmern.“
    Dann geschah alles furchtbar schnell. Magda stellte sich schützend vor uns, aber die Männer haben sie einfach weggefegt wie eine lästige Fliege. Mein Bruder schrie. Einer der Männer packte ihn und hielt ihm den Mund zu: „Still, du Judenbalg“. Da stürzte sich Biene mit gefletschten Zähnen ins Getümmel. Ich schrie: „Biene! Nein!“ Zwei der Männer zogen ihre Waffen und schossen abwechselnd auf sie. Sie lachten. Wolferl wurde ganz still und schlaff in den Händen des Mannes. Auch seine Augen

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