Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
er sich wie ein Junge fühlte, der auf dem Knie des Großvaters sitzt. In Anbetracht dessen, was sich im Laufe der vergangenen vierundzwanzig Stunden verändert hatte, war das Gefühl nicht im Geringsten unangenehm.
»Sollen wir den Rückweg zum Landestreifen antreten?«, fragte Chou, »oder müssen Sie sich noch etwas ansehen?«
Justin musterte den funkelnden blauen Sand, als versuche er, die Wahrheit absichtlich vor ihm zu verbergen.
»Ich bin mir gar nicht sicher, ob es etwas gibt, nach dem man Ausschau halten kann«, sagte er.
Chou nickte. »Hier jedenfalls nicht, aber davon mussten wir uns vergewissern. Vielleicht haben wir mehr Glück, wenn wir uns die Überreste des Gravo-Skis vornehmen.«
»Wozu das?«, fragte Justin ausweichend, denn er sträubte sich, jemand ohne Elizabeths ausdrückliche Erlaubnis ins Vertrauen zu ziehen.
»Um nach Beweisen zu suchen«, antwortete Chou. Seine grauen Augen funkelten nicht mehr. »Nach Beweisen, dass König Roger ermordet wurde. Sie glauben doch nicht etwa, sein Tod wäre ein Unfall gewesen, oder?«
Alles erhob und verbeugte sich, als Königin Elisabeth III. die Ratskammer betrat. Der Herzog von Cromarty, ein langjähriger Beobachter des politischen Parketts, stellte fest, das sie die ihr gegenüber erbrachten Huldigungen mit so großer Würde entgegennahm, als seien sie für sie selbstverständlich. Zum Teil ließ sich diese kühle Würde wohl durch die Tatsache erklären, dass sie ihr ganzes Leben lang Kronprinzessin gewesen war, und doch glaubte der Premierminister, dass mehr dahinter steckte.
Sie mochte nur ein junges Mädchen von achtzehn Jahren sein, doch sie hatte genügend Verstand, um zu begreifen, dass die Menschen, von denen sie aufgezogen worden war, nun Schwierigkeiten haben könnten, sie als ihre Herrscherin zu betrachten. Indem sie die Ehrerbietung nahm, wie sie gegeben wurde, erinnerte sie jeden und jede daran, wer letztendlich die Entscheidungen traf.
Nachdem die Königin sie alle begrüßt hatte, ergriff Dame Eliska im Namen des provisorischen Regentschaftsrats das Wort.
»Die Krönung heute Morgen verlief reibungslos. Meine Meinungsumfragen, und zwar sowohl die offiziellen als auch die inoffiziellen, zeigen, dass Euer Majestät in beiden Kammern des Parlaments große Unterstützung finden. Je früher die Fragen von Regent und Regentschaftsrat gelöst sind, desto wahrscheinlicher ist, dass sie sich ohne Schwierigkeiten und zum Besten Eurer Majestät lösen lassen.«
Elizabeth nickte. »Ich habe Ihre Empfehlungen für den Regenten durchgesehen und finde sie fundiert.«
Selbst ihre Stimme klingt anders , dachte Cromarty. Sie artikulierte sich mit einer bedachtsamen Präzision, einer Reife, die neu bei ihr war und doch zu natürlich, zu … unvermeidlich erschien, um vorgetäuscht zu sein. »Allen, haben Sie etwas hinzuzufügen?«, fragte sie, und er räusperte sich.
»Jawohl, das habe ich. Augenscheinlich gibt es gewisse Widerstände dagegen, dass entweder Ihre Mutter oder Ihre Tante als Regentin fungiert.«
Die Königinmutter zuckte zusammen. »Ich protestiere! Diese Anrede –«
Elizabeth unterbrach ihre Mutter, indem sie ihr sanft die Hand auf den Arm legte.
»Ich muss hören, was der Premierminister zu sagen hat«, erklärte sie im gleichen neuen Ton. »Allen, ich bin erstaunt, dass Sie zwei Kandidatinnen für die Regentschaft mit den Wörtern ›Mutter‹ und ›Tante‹ bezeichnen. Gewöhnlich beachten Sie das Protokoll auf den Buchstaben genau. Gibt es für diese Abweichung einen Grund?«
Der Premierminister nickte. »Jawohl, ich habe diese Wörter gewählt, weil sie präzise die Gerüchte wiedergeben, die mir zu Ohren gekommen sind, Euer Majestät. Diese Gerüchte verleihen der Befürchtung Ausdruck, dass eine enge Verwandte Ihrer Majestät wie die Königinmutter oder Herzogin Winton-Henke nicht nur imstande wäre, Euer Majestät zu beraten, sondern vielmehr an Ihrer Stelle zu regieren.«
»Auf den Punkt gebracht befürchtet man also, dass meine Mutter oder meine Tante mich bevormundet.«
»Jawohl, Euer Majestät.«
»Wie schade«, entgegnete Elizabeth sinnend. »Ich hatte mir gerade überlegt, dass Tante Caitrin als Regentin ideal wäre. Nichts gegen dich, Mutter, aber ich glaube, es würde uns wirklich schwer fallen, unsere althergebrachten Rollen aufzugeben.«
Einen Augenblick lang wirkte die Königinmutter gekränkt, doch dann lächelte sie.
»Ja, ich stimme dir zu. Es könnte mir tatsächlich schwer fallen, nicht mehr
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