Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
reichte.
Als er unbestimmte Zeit später an einem scharfkantigen Felsbrocken zusammenbrach und sich eingestand, dass er einfach nicht mehr weiter konnte, geriet die Baumkatze in Panik.
»Bliek! Bliek-bliek-bliek! «
Wie oft sie diesen Laut wiederholte, konnte er nicht sagen, am Ende aber durchdrang der grelle Schrei den frostigen Nebel in seinem Kopf. Scott blickte vorsichtig auf, schüttelte sich vor Kälte, die nicht nur vom eisigen Flusswasser stammte, und sah in unheimliche Augen von der Farbe einer Sommerwiese, die seinen Blick suchten und nicht mehr freigaben. Durch Willenskraft zwang ihn die Baumkatze, sich aus dem tödlichen Stumpfsinn zu reißen. Mit beiden Händen fasste sie sein Gesicht. Die kleinen Finger fühlten sich warm und geschmeidig an, die Krallen waren eingezogen. Diese merkwürdig entschlossene Geste hatte die gleiche Wirkung wie ein Schlag mit der flachen Hand. Scott spürte, wie die Hoffnungslosigkeit, die in ihm aufgestiegen war, wieder versiegte.
Ganz am Rande seines Bewusstseins spürte er die Furcht der Baumkatze. Unter anderen Umständen hätte Scott sich vielleicht versichert, dass er sich diese Furcht als Folge seiner Kopfverletzung nur einbilde.
Hier und jetzt aber, als sein Begleiter ihm eine Hand aufs Gesicht legte und mit einer anderen eindringlich aufs Ufer wies, musste Scott sich eines klar eingestehen: Die Baumkatze machte sich ernsthafte Sorgen darüber, wie lange er im eiskalten Fluss noch überleben würde.
Diese Furcht um ihn trieb Scott an, sich erneut zu bewegen. Du hast mich vor dem Ertrinken gerettet, jetzt will ich dich nicht enttäuschen … Er rutschte aus und fiel nach vorn ins Wasser. Halb kroch er zum nächsten Felsen, halb wurde er dorthin gespült. Die unerbittliche Strömung trieb ihn seitwärts, und er musste kämpfen, um den malträtierten Kopf über Wasser zu halten. Wäre Scott allein gewesen, so hätte er sich auf die Seite gelegt und wäre gestorben.
Er war gekrochen, immer weiter gekrochen, stundenlang, wie es ihm erschien, und hatte sich jedes Mal versprochen, sich auf dem nächsten Felsblock zusammensinken zu lassen, den er erreichte. Das Wasser war mittlerweile so seicht, dass er nur noch mit Händen und Knien eintauchte. Mit der unfasslichen Langsamkeit eines vorrückenden Gletschers hob er den Kopf, wobei er sich auf die Lippen biss, damit ihn nicht die Übelkeit übermannte. Das Sonnenlicht flimmerte schmerzhaft grell auf der glatten Böschung aus Steinen und Lehm, die sich vor ihm erhob.
Er hatte das Ufer erreicht.
Ein greulicher Laut entwich ihm, der sich in keine Sprache übertragen ließ; doch er krallte sich an die Steine, grub die Finger in den weichen Lehm, zog und schleppte sich hoch, entwand sich dem tödlichen Griff des Flusses. Warm und wunderbar fühlte sich der Boden unter seinem Bauch an. Die Wärme vertrieb ihm die schlimmste Kälte aus den Knochen. Irgendwann stieg der Boden unter ihm nicht mehr an, sondern wurde eben, und Scott ließ sich auf dem sonnenerwärmten Sims über dem Fluss zusammensinken. Er bebte heftig am ganzen Leib. Die Erschöpfung säumte die Grenzen der Wirklichkeit immer weiter ein und zog ihn ins Vergessen. Als Letztes nahm er wahr, dass ihn kleine Hände mit nur drei Fingern an der Wange berührten.
Nachdem der Zwei-Bein endlich das Steinufer erreicht und sich bebend und schwach die Böschung hinaufgeschleppt hatte, summte Fängt-gewandt anerkennend und berührte ihn im feuchten Gesicht. Der Zwei-Bein musste noch ein Stück weiter kriechen, bis unter den Schutz der Bäume. Doch der Kampf mit dem eisigen Fluss und die schweren Verletzungen forderten ihr Recht: Der Zwei-Bein brach völlig zusammen und sank in Bewusstlosigkeit. Ganz offensichtlich war er zu erschöpft, um sich noch weiter schleppen zu können. Seine wunderschön glatte, goldgefleckte Haut fühlte sich kalt an. Der Zwei-Bein brauchte unbedingt ein wärmendes Feuer.
Fängt-gewandt huschte in die Bäume und suchte nach Feuerholz. Mit den Echthänden, dem Feuersteinmesser und dem Beil, das in seinem Gürtel steckte, löste er brauchbare Zweige und dünne Äste und ließ sie auf den Boden fallen, bis er einen ansehnlichen Stoß angehäuft hatte. Das Holz genügte zwar nicht, um ein Geschöpf von der Größe des Zwei-Beins lange zu wärmen, aber es war besser als nichts. Mit erregt zuckendem Schweif eilte Fängt-gewandt wieder zu Boden und baute aus dem Haufen die größte Feuerstelle seines Lebens. Mit dem Messer kratzte er Rinde und
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