Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
hatte. Ein brennender Krampf in seinem Nacken bewegte ihn zu dem vorsichtigen Versuch, den Kopf in eine andere Position zu bringen. Er biss sich auf die Lippen und drehte den Kopf um wenige Millimeter. Sofort musste er einen Schmerzensschrei unterdrücken, und er begriff, dass er sich keineswegs nur einbildete, in einem Netz zu hängen.
Scott blinzelte vorsichtig. Lichtstrahlen zuckten ihm wie ein Speer schmerzhaft durch den Kopf, und er kniff die Augen wieder zu. Trotzdem sah er in diesem kurzen Moment etwas und fühlte sich, als treibe er fassungslos zwischen den Fragmenten seiner Gedanken.
Sein Gesicht ruhte tatsächlich in einem handgeknüpften Netz. Es trug seinen Kopf und hielt seine Nase wenige Millimeter über dem Wasser. Wie um alles in der Welt kam er dazu, mit dem Gesicht nach unten in einem Netz zu liegen? Als Scott den Arm bewegte, musste er wieder bittersauren Mageninhalt hinunterschlucken, aber wenigstens ließ sich der Arm gebrauchen, auch wenn die misshandelten Muskeln in Nacken und Schulter ihren Protest herausschrieen. Vorsichtig betastete er sich den Kopf und stutzte, denn seine Finger fanden grobe Knoten und etwas, das sich wie ein Tuchverband anfühlte. Das Netz war fest gespannt und, wie er entdeckte, über einen niedrig hängenden Baumast geschlungen. Als er die Hand wieder senkte, war sie rot von Blut.
Zuerst bemerkte er das leise Summen gar nicht. Er lag in seinem Netz und überlegte, wie er es wohl zustande gebracht haben mochte, sich während einer durch Gehirnerschütterung hervorgerufenen Bewusstlosigkeit den Kopf zu bandagieren. Dann aber legte sich seine Furcht rasch, und er wurde eines fast unterschwelligen, liedartigen Summens gewahr, das über den Schmerz hinweg auf ihn eindrang und ihn beruhigte.
Scott schlug unter großen Mühen die Augen auf, schaute hoch – und blickte in besorgte grasgrüne Augen.
Mit einem krampfartigen Schrei fuhr Scott aus dem Wasser auf. Im nächsten Moment sackte er wieder über den Fels und erbrach sich haltlos, während der Schmerz ihm wie mit Feuerlanzen das Hirn zerstach. Er spürte, wie kleine, sanfte Hände ihn am Schädel berührten, an den Wangen und an der Stirn. Instinktiv wusste er, dass dieses Geschöpf, das da neben ihm kauerte – was immer es nun war –, ihm nicht nur keinen Schaden zufügen wollte, sondern ihm sogar zu helfen versuchte. Woher er das wusste, konnte er nicht sagen; er wusste es einfach, so wie er wusste, dass er hier draußen sterben würde, wenn er nicht dem eiskalten Wasser entkam, das Gebirge verließ und sich ins nächstbeste Krankenhaus einlieferte. Trotz aller medizinischen Errungenschaften, angefangen mit der Bewältigung der Seuchen über die Entwicklung von Klonverfahren und anderen Techniken der Genmanipulation bis hin zu einfachen kybernetischen Verbesserungen, trotz all dieser Errungenschaften führten simple, dumme Unfälle nach wie vor in entsetzlich vielen Fällen zum Tod, besonders auf neu kolonisierten Welten wie Sphinx. Lange Augenblicke lag Scott schaudernd auf dem Felsblock, bekämpfte die Übelkeit in seiner Magengrube und war sich dessen bewusst, dass er vermutlich der nächste Unfalltote wäre, der im sphinxianischen Sterberegister verzeichnet werden würde.
Er nahm alle verbliebene Kraft zusammen und griff vorsichtig nach dem Netz, das noch immer irgendwo hinter seinem Kopf befestigt war. Er spürte andere Hände, die sicher und geschickt an seinem Hinterkopf und an seinem Scheitel arbeiteten. Dann löste sich das Maschenwerk, und Scott war frei. Er blinzelte langsam und sah eine lange, geschmeidige, cremefarben und grau getupfte Pelzgestalt, die sich das Netz eilig um die Leibesmitte band, wobei sie es mit den oberen vier Gliedmaßen überaus geschickt handhabte.
Eine Baumkatze …!
Nachdem diese Überraschung endlich in seinen schmerzenden Kopf gedrungen war, erkannte Scott MacDallan, dass er ertrunken wäre, wenn die Baumkatze ihm nicht das Netz um den Kopf gelegt und es über den Ast geschlungen hätte. Er schluckte trocken. Dieses kleine Wesen hatte ihm überlegt und recht geschickt das Leben gerettet. Die Baumkatze kauerte sich nieder, ohne ihr leises Summen abzubrechen, und berührte mit ihrem Kopf Scott im Gesicht. Wie um ihn zu beruhigen und zu trösten, rieb sie ihren weichen Pelz an seiner Wange. In die Furcht und die Schmerzen, die ihn nicht losließen, mengte sich nun Erstaunen, und Scott sagte sich, er müsse sich nun allmählich einen Weg überlegen, sich lebend aus seiner Lage
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