Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
Er lehnte sich an die raue Borke des Pfostenbaums, biss sich in die Unterlippe und überlegte, was zum Teufel er als Nächstes unternehmen sollte. Er brauchte einen Krückstock, auf den er sich stützen konnte, denn kriechend würde er den Flugwagen niemals rechtzeitig erreichen, das war ausgeschlossen. Außerdem musste er seinen pochenden Knöchel verbinden, um die Verstauchung zu stabilisieren. Seine Stiefel waren dazu zu biegsam. Wenn er hier noch länger sitzen blieb, dann überraschte ihn das Gewitter, und Gott allein wusste, ob er den Wind, den Regen und den Hagel ungeschützt überleben würde.
»Sprechen Sie weiter mit mir, Giff«, bat Scott mit erstickter Stimme. »Ich bin hier draußen ganz allein.«
»Roger. Bleiben Sie dran, Scott. Gehen Sie zu Ihrem Wagen, dann überstehen Sie den Sturm mühelos. Wie sieht es sonst mit Ihnen aus?«
Scott berichtete von dem verstauchten Knöchel, dass er eine Schiene brauche und einen Gehstock.
»Okay, Scott, das schaffen wir schon. Sie haben doch ein Vibromesser, oder etwa nicht?«
»Ja, habe ich. Ich …« Er zögerte und sah über das ersterbende Feuer. »Damit habe ich einen großen Ast zerlegt. Die Baumkatze hat ihn von dem Pfostenbaum gehackt, unter dem ich liege.«
Einen Moment lang schwieg das Comgerät. »Sagen Sie das noch mal, Scott. Sagten Sie wirklich Baum ?«
Scott hörte deutlich das Zaudern in Giffs Stimme, obwohl das Gewitter bereits das Signal des Nachrichtensatelliten störte. Erst zwei T-Monate zuvor war die kleine Stephanie Harrington von einer Baumkatze adoptiert worden, und jeder Kontakt mit einem dieser Wunderwesen erfüllte die neuesten Bewohner des Planeten mit Aufregung und Unsicherheit.
»Die Baumkatze«, bestätigte Scott langsam. »Ein Baumkater ist bei mir. Oder besser, er war bei mir. Er ist gerade den Pfostenbaum hinaufgeklettert, an dem ich lehne, und verschwunden. Als ich aufwachte, war er neben mir im Fluss.« Scott fand es unerwartet schwer, diese Worte auszusprechen, weil die Fürsorge, die der Baumkater ihm hatte angedeihen lassen, ihm vor Rührung die Kehle zuschnürte. »Er hat mir ein Netz um den Kopf geschlungen und dadurch mein Gesicht aus dem Wasser gehalten. Er hat das Ding an einer Astgabel befestigt und mich dadurch vor dem Ertrinken bewahrt. Ohne ihn wäre ich nicht mehr aufgewacht. Und als ich mich endlich aus dem Wasser gezogen hatte, hat er mit einem Beil Feuerholz aus dem großen Pfostenbaum gespalten, unter dem ich jetzt sitze, und dann hat er Feuer gemacht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er mit einem Feuerstein Funken geschlagen und Zunder zum Brennen gebracht hat.«
» Gütiger Himmel! « In Gifford Bedes körperloser Stimme schwang die gleiche Verwunderung mit, die Scott noch immer empfand. »Sie sagen, die Baumkatze war bei Ihnen, seit Sie das Bewusstsein wiedererlangt haben?«
»Ja.«
»Und er war nicht da, bevor Sie hinfielen und sich den Kopf anschlugen?«
»Nein. Zumindest habe ich ihn nicht gesehen, denn ich halte schon den ganzen Tag lang nach Baumkatzen Ausschau. Als ich zu mir kam, lag ich über einem Stein, und mein Gesicht hing in einem Netz. Er hatte mir sogar ein Stück vom Ärmel abgeschnitten und damit die Platzwunden an meinem Kopf verbunden. Wahrscheinlich hat er mich damit vor dem Verbluten bewahrt.«
Ein Rascheln über seinem Kopf schreckte Scott auf. Er packte das Ersatz-Comgerät – sein einziges – fester und wollte nach dem Gewehr greifen. Dann aber drang Hoffnung und eine erstaunlich intensive Freude auf ihn ein. Ein vertrauter cremefarben-grauer Blitz schoss den Baumstamm herab und ließ sich neben ihn fallen. Der Baumkater berührte ihn mit einer Hand, mit einer anderen wies er drängend flussabwärts.
»Bliek!«
»Scott?« Im Com knisterte die statische Elektrizität des nahenden Gewitters. » Was war das für ein Geräusch? «
»Der Baumkater«, flüsterte Scott ehrfürchtig. »Er ist wieder da. Und er zeigt auf meinen Flugwagen. Mein Gott, ich glaube, er ist auf den Baum geklettert und hat ihn gesehen!«
»Nun, wenn er Ihnen sagt, dass Sie den Hintern heben und verschwinden sollen, dann hören Sie lieber auf ihn! Dieser Sturm wird übel. Wir messen hohe Windgeschwindigkeiten, große Hagelkörner und mehr Blitze, als Sie im Leben so dicht und so persönlich sehen wollen.«
Der starken statischen Störung im Com nach zu urteilen, entsprach Giffs Prognose sicher voll und ganz den Tatsachen. »Roger. Ich versuche mein Bestes, Giff.«
»Okay. Als Erstes verbinden
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