Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
Sie Ihren Knöchel. Schienen Sie ihn, egal, womit.«
Scott durchwühlte seine Provianttasche und zog Plastiglas-Gewebeband hervor, dazu mehrere Teile einer zerlegten Ersatz-Angelrute, die er immer bei sich hatte. Obwohl ihm der Kopf vor Schmerzen zu platzen schien, zog er das Knie an, bis er den pochenden Knöchel erreichen konnte. Dann versuchte er die Angelrutenteile in Position zu halten und gleichzeitig das Gewebeband darumzuwickeln. Rasch entdeckte er, dass er dazu wenigstens vier Hände mehr benötigte, als er gegenwärtig besaß – und die, die er hatte, zitterten so heftig, dass sie so gut wie nutzlos waren. Der Baumkater neigte den Kopf zu Seite und stellte die Ohren vor. Er musterte die steifen Stangen aus Fiberglas, die immer wieder umfielen, dann bliekte er leise.
Mit geschickten Händen nahm der Baumkater die Einzelteile vom Boden auf und drückte sie fest gegen Scotts Knöchel. Mit allen vier oberen Gliedmaßen hielt er sie an Ort und Stelle. Plötzlich brannte es Scott salzig unter den Lidern. »Danke, Kumpel«, brummte er, zog einen Streifen Klebeband ab und schlang ihn sich mit zitternden Händen um den Knöchel.
»Was macht Ihr Baumkater?«, fragte Giff gespannt. Scott wusste, dass Gifford Bede auch das leiseste Geräusch ihres Gesprächs aufzeichnete, seit er von dem Baumkater wusste – nur für den Fall, dass Scott nicht überlebte und den Xenologen keinen Bericht erstatten konnte.
»Er …«
Scott schloss den Mund, bevor er sagte: ›Er hält die Einzelteile meiner Ersatz-Angelrute an mein Bein, damit ich sie festbinden kann.‹ Scotts sechster Sinn hatte ihn soeben gewarnt, und zwar so deutlich, wie er es noch nie erlebt hatte. Die überaus kluge, lebensrettende Hilfe des Baumkaters entsprang blitzartiger, problemlösungsorientierter Intuition und ähnelte sehr der Methode, mit der er Scott vor dem Ertrinken bewahrt hatte. Die Hilfsmaßnahmen schenkten Scott einen deutlichen Blick auf die Intelligenz dieser Spezies. Ihr benutzt vielleicht noch Steinwerkzeuge, mein kleiner Freund, aber an eurer Auffassungsgabe ist nichts Primitives. Stephanie Harrington hatte völlig Recht. Wenn von dem, was ich von dir aufzufangen glaube, auch nur die Hälfte stimmt, dann sagt sie längst nicht alles, was sie weiß. Die Xenologen haben keine Ahnung, richtig? Daten wie diese haben sie nicht, nicht im Entferntesten. Und vielleicht liegt die kleine Harrington ganz richtig damit, dass sie sich von diesen Xenologen nicht ausquetschen lässt. Du bist schlau und du bist empfindsam – wie viele Menschen würden es auszunutzen versuchen, dass eure Technik noch nicht über die Steinzeit hinausgekommen ist? Scott beschloss, niemanden einzuweihen, wie intelligent Baumkatzen wirklich waren – falls er diese Katastrophe lebend überstand. Besser, die Menschheit unterschätzte die Baumkatzen, als dass sie diese Spezies ausbeutete, wie sie fast alle intelligenten Ureinwohner fremder Welten ausgenutzt hatte, weil niemand sie daran hinderte.
Trotzdem wollte Scott so viel wie möglich über diesen ganz bestimmten Baumkater erfahren. Einige wenige gut informierte, verschwiegene Einzelpersonen konnten den Baumkatzen in politischer, soziologischer und legaler Hinsicht weit mehr nutzen als ganze Amtsstuben voll wohlmeinender Xenologen. Stephanie Harrington war erst elf. Scott MacDallan war ein erwachsener Mann. In der weit verstreuten Gemeinde, der er als Arzt diente, respektierte man ihn und sein Wort. Er konnte so viel erreichen; er konnte nicht nur diese Baumkatze schützen, sondern die Hunderttausend, wenn nicht gar Millionen anderen ebenfalls. Falls er lange genug lebte, um den Versuch zu beginnen. Himmel, was könnte ich alles über dich lernen, was könnte ich schaffen, wie sehr könnte ich dich und deinesgleichen beschützen, wenn ich nur die Chance dazu bekäme?
Scott wollte diese Chance unbedingt.
Als er genügend Band um die Stangen gewickelt hatte, um seinen Knöchel zu stützen, war das helle Licht der Nachmittagssonne einem unheilverkündenden, bleiernen Dämmerdunkel gewichen. In den Baumwipfeln kreischte der Wind, und der Geruch nach Ozon und Regen lag schwer in der Luft.
»Ich muss flussabwärts«, murmelte er sich zu. »Ich muss einfach in den Flugwagen.«
»Scott?« Gifford Bedes Stimme übertönte das laute Knistern, das aus dem Comgerät drang.
»Ja?« Er horchte angestrengt, um trotz der Störungen etwas zu verstehen.
»… band um Ihren Knöchel?«
»Ja, ich habe ihn geschient.«
»… schien
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